Am 15.9.2023 erblickt ein neues Orchester das Licht der Welt: das oneMusic Orchestra tritt erstmals unter seinem Gründer und Dirigenten Yoel Gamzou auf – im Rahmen des Fellowship-Projekts im Beethovenfest Bonn. Wir haben Yoel Gamzou fünf Fragen gestellt.
1. Das Beethovenfest 2023 ist ein Festival über Leben. Welchen Platz nimmt die Musik in deinem Leben ein?
Es klingt wie ein Klischee, wenn man sagt, »ich lebe für die Musik«. Aber in der Tat glaube ich, dass für einen Musiker (und für viele Menschen, die keine Musiker sind, aber Musik lieben) Musik genauso existenziell sein kann wie Wasser oder Sauerstoff.
Musik ist weder ein Beruf, noch ein Job. Musik ist ein Zustand, in dem Dinge möglich sind, die sonst nicht erlebbar sind. Musik ist für mich der einzige Zustand, in dem ich mich selbst spüre. Der Moment, wo ich mich zu 100 % verletzbar machen kann und muss, um zu fühlen, zu empfinden, zu kommunizieren.
Musik ist der Moment, wo 1000 Menschen dasselbe Erlebnis haben – dabei empfindet jeder einzelne etwas ganz Unterschiedliches. Wir haben Emotionen, von denen wir nichts ahnten. Musik zu hören, ist gleichzeitig eine individuelle und eine kollektive überwältigende Erfahrung. Es ist eine magische Utopie von der Verschmelzung zwischen Individuum und Gemeinschaft. Ein Moment der absoluten Hingabe und des Loslassens.
2. Du bringst das von dir neu gegründete oneMusic Orchestra mit nach Bonn. Wofür steht one.Music?
OneMusic ist mein neues Orchester, das ich mit meinen wunderbaren Kolleg:innen über die letzten zwei Jahre entwickelt habe und das beim Beethovenfest Bonn 2023 seinen Einstand gibt. OneMusic ist nicht nur ein Orchester, es ist vor allem eine Denkweise – wir glauben, dass keine Kunstform überlebt, wenn sie nur noch ein Museum darstellt. Egal wie genial und einzigartig die alten Meisterwerke sind – jede Kunstform braucht beides: den Kanon der alten Meister und die neuen Werke, die in und aus unserer Zeit entstehen.
Wir sind der Überzeugung, dass ein sehr großer Teil der neuen Musik der letzten 100 Jahre völlig am Publikum vorbei komponiert wurde und viele Menschen verstört und verscheucht hat. Uns geht es darum, neue Musik in Auftrag zu geben und aufzuführen, die Menschen berührt. Unsere heutige Musikszene ist so reich und vielschichtig, wie sie noch nie war – es gibt so viel Talent, so viele verschiedene Stile, so viele Handschriften und Persönlichkeiten. Diese befinden sich aber selten in der ›zeitgenössischen klassischen‹ Musik.
Wir wollen über Genres hinaus denken – deshalb heißen wir »oneMusic«. Für uns gibt es nur gute Musik, die Menschen berührt – keine Trennungen und Abgrenzungen. Wir wollen mit den besten Musiker:innen zusammenarbeiten, aus allen möglichen Richtungen, um gemeinsam neue Musik zu kreieren, die heutig ist und trotzdem sinnlich und emotional. Der neuen Musik stellen wir einzigartige und intensive Aufführungen der alten Werke entgegen.
3. Wie verstehst du deine Rolle als Dirigent deines neuen Orchesters?
Ein Dirigent ist nichts anderes als ein musikalischer Reiseführer. Man hat einen Plan, eine Idee, eine Vision – eine Route. Dann hat man die Aufgabe, das Vertrauen seiner Musiker:innen zu gewinnen, dass diese Route zumindest an ein spannendes Ziel führt! Letztendlich geht es nur um Aufrichtigkeit und Integrität, denn keiner weiß, wo eine Reise hinführt. Der Prozess muss aber ehrlich sein! Man darf als Dirigent nie vergessen, dass der Taktstock keinen einzigen Ton erzeugen kann. Man kann als Dirigent unheimlich viel beeinflussen, man kann mit Zeit malen, man kann eine Atmosphäre herstellen. Aber in letzter Instanz kommt die Magie von den Musiker:innen. Diese Demut darf man nie verlieren.
4. Was war dir besonders wichtig in der Gestaltung des Konzerts, das du mit dem oneMusic Orchestra beim uns spielen wirst?
Unsere Devise bei oneMusic ist immer »50/50 alt und neu« – die Hälfte der Programme sind existierende Werke, die andere Hälfte sind Uraufführungen. Das verfolgen wir natürlich nicht dogmatisch, aber im Prinzip sind wir überzeugt davon, dass die alten Meisterwerke ganz anders gehört werden, wenn sie neuen, relevanten Werken gegenüberstehen. Mir war es aber ebenso wichtig, einigen Künstlern eine Plattform zu geben, die mir sehr am Herzen liegen – etwa dem Solisten Elisha Abas, ein exzentrisches Genie am Klavier, der durch seine Radikalität oft keinen Platz im Mainstream gefunden hat. Ich selbst bin auch nur hier, weil ein paar Menschen mir auf meinem Weg eine Chance gegeben haben und mir ermöglicht haben, meiner Musik treu zu bleiben. Ich habe das Gefühl, dieses Vertrauen jetzt weitergeben zu wollen.
5. Viele Künstler:innen und auch wir als Festival stellen uns die Frage, wie unser eigener Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft aussehen kann. Wie antwortest du darauf?
Ich glaube, jeder muss schauen, in welchem Bereich und in welcher Form er am besten beitragen kann. Es wäre absurd, wenn ich versuchen würde, als Musiker die Umwelt zu retten. Man darf nicht in die Falle geraten, solche Aktionen für die eigene Eitelkeit zu machen – die Wirkung muss immer im Fokus bleiben. Ich frage mich also: Wo kann ich den größten Impact haben, wie kann ich am meisten erreichen? Ich denke, meine Aufgabe ist, Menschen zu berühren. Wir leben in einer Welt, die aus sehr vielen Vorgängen und Mechanismen besteht, die uns vom Fühlen abhalten. Die industrielle, kapitalistische Welt schaut, dass das Individuum nicht zu viel nachdenkt, möglichst viel produziert und bloß nicht von seinem Wachstumswahn abgelenkt wird. Ich möchte mit meiner Musik die Menschen näher zu sich selbst bringen. Ich möchte kein Erlebnis vorschreiben, ich will dass jeder Mensch etwas vollkommen Individuelles in unseren Konzerten erlebt. Dabei soll er aber sich selbst spüren. Dafür gibt es heutzutage nicht so viele Gelegenheiten. Und wenn uns das gelingt, ist es ein enormer Beitrag zur Nachhaltigkeit. Denn wenn unsere Zuhörer:innen durch solche Erlebnisse inspiriert werden, werden sie dementsprechend ihre Mission und ihren eigenen Beitrag besser und aufrichtiger entdecken und verfolgen können.
Yoel Gamzou und das oneMusic Orchestra beim Beethovenfest 2023
, Universität Bonn, Aula
Beethoven 5
oneMusic Orchestra, Elisha Abas, Yoel Gamzou