»Ich versuche, etwas Schönes, Unterhaltsames, Faszinierendes, Neues zu schaffen.«
– Iñigo Giner Miranda
Das Konzert ist eine jahrhundertealte Kulturleistung und Institution, die sich immer wieder gewandelt hat. Dieser Wandel hält bis heute an. Konzerte ohne Stühle, mit besonderer Abfolge von Programmpunkten, mit Licht, Bewegung, ungewohnten Aufstellungen im Raum – die Möglichkeiten sind groß.
Im Handlungsfeld »Konzertdesign« des neuen Fellowship-Programms hat der Berliner Musiker und Theaterkünstler Iñigo Giner Miranda im Beethovenfest 2023 sein ganzes Genie ausgespielt. Zwei unvergessliche Konzertformate hat er gestaltet.
»Lebensgesänge«: Gebete an das Leben
Arien von Puccini und Verdi und die »Vier Letzten Lieder« von Richard Strauss: Im Zentrum des ersten von Miranda gestalteten Konzerts im Bonner Münster stand die Sopranistin Aušrinė Stundytė, begleitet von einer intimen Kammerbesetzung des Beethoven Orchesters Bonn unter der Leitung von Dirk Kaftan. Miranda verwob diese sinnliche Vokalmusik mit nachdenklicher Musik amerikanischer Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Das Besondere am Konzert war vor allem die nahtlose Abfolge von verschiedenen Werken und die Bespielung des ganzen Kirchenraums, sodass vom Einlass bis zum Ende ein verwobenes Klangerlebnis zustande kam.
»Das ist es, was man mit Erlebnis bezeichnet: Dass ich dir etwas anbiete, was dich auf eine unerwartete Weise trifft und dir einen neuen Zugang zu den Dingen, zu der Musik gibt.«
»Mittendrin«: im Kosmos Orchester
Wie klingt es eigentlich, wenn man in einem Orchester sitzt? Den meisten Menschen bleibt dieses Klangerlebnis im normalen Konzert verschlossen, wenn sie kein Orchesterinstrument in ihrer Freizeit spielen. Miranda änderte das mit seinem Konzertformat »Mittendrin« mit der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Miguel Pérez Iñesta. Kompromisslos löste er die Trennung zwischen Publikum und Orchester auf: ein Wandelkonzert entstand.
Besonders spannend: Die beiden Konzerthälften experimentierten unterschiedlich mit der Mobilität der Beteiligten. In der ersten Hälfte war es das Publikum, das sich im unbestuhlten Kirchenraum der Festivalzentrale Kreuzkirche frei zwischen den Musiker:innen bewegen durfte. Diese standen an Notenständern im ganzen Raum verteilt. Man konnte direkt neben sie treten und Igor Strawinskys »Pulcinella-Suite« aus der Perspektive eines Bratschers oder einer Cellistin im Ensemble hören.
In der zweiten Konzerthälfte wurde der Spieß ungedreht. Das Publikum saß an festen Plätzen, die Musiker:innen wechselten während der Aufführung ständig ihre Positionen zwischen den im Raum verteilten Notenständern. Geradezu ideal für die klangliche Umsetzung von Richard Strauss’ »Metamorphosen«: Immer wieder wandelte sich der Orchesterklang um, wenn die Einzelstimmen der komplexen Partitur ständig aus anderen Winkeln des Raums zu hören waren. Und für jede:n Zuhörer:in klang das Stück anders.
»Die Grenzen zwischen Musik und theatraler Performance fangen an, sich zu vermischen.«
Theatral war nicht nur die Bewegungsregie, sondern auch das außergewöhnliche Lichtkonzept von Miranda, das mit scharfen Spots, tanzenden Lichtpunkten und Nebel den Raum völlig transformierte. Ein magisches Konzert, das viele Besucher:innen besonders berührt hat.
Konzert im Wandel
Das Konzert weiter denken und damit mehr Wege erkunden, wie wir gemeinsam Musik hören können – das ist die Mission von Iñigo Giner Miranda. Denn er ist überzeugt, dass die Menschen sich Orte wünschen, wo die Begegnung mit Live-Musik in ihrer Intensität erlebbar ist.
»Ich wünsche mir, dass die klassische Musikbranche sich etwas in diese Richtung bewegt, dass wir eine Vielfalt von Ansätzen schaffen, die dieses Bedürfnis nach einem meditativen Ort der Begegnung mit der Musik herstellen.«
Die Konzerte im Beethovenfest 2023 gestaltet von Iñigo Giner Miranda
, Bonner Münster
Lebensgesänge
Beethoven Orchester Bonn, Aušrinė Stundytė, Konstantin Bruns
Bryars, Anderson, Verdi
, Festivalzentrale an der Kreuzkirche
Mittendrin
Kammerakademie Potsdam, Miguel Pérez Iñesta
Strawinsky, Strauss