Wooden Elephant ist eines der seltenen Ensembles, das den Begriff Cross Over vollkommen eigenständig mit Leben erfüllt – zu erleben in zwei Konzerten beim Festival 2024, wo die früheste (Björks »Homogenic«) und die neueste (Aphex Twins »Drukqs«) Arbeit auf die Bühne kommt. Beethovenfest-Intendant Steven Walter spricht mit der irischen Geigerin Aoife Ní Bhriain und dem schottischen Bratscher Ian Anderson darüber, wie sie Streichinstrumente und Pop-Alben neu erfinden.
Steven Walter: Aoife Ní Bhriain und Ian Anderson, Ihr seid zwei Fünftel von Wooden Elephant. Was ist Wooden Elephant?
Ian Anderson: Wooden Elephant ist ein zeitgenössisches Streichquintett mit der Besetzung klassisches Streichquartett plus Kontrabass. Wir nehmen elektronisch basierte Alben und verwandeln sie in komplett akustische zeitgenössische klassische Werke. Wir bearbeiten also nicht einzelne Songs, sondern nehmen ganze Alben.
SW: Ihr benutzt auch alle möglichen zusätzlichen Instrumente, um die verschiedensten verrückten Sounds zu erzeugen.
IA: Ja, das gehört zu unseren wichtigen Interessen. Um all diese verrückten elektronischen Klänge zu erzeugen, finden wir Wege, die Saiten zu manipulieren. Denn alle elektronische Musik wird durch die Manipulation von Klängen erzeugt. Man kann das am Computer oder akustisch machen: Indem man etwas an einer Saite befestigt oder sie auf eine ungewohnte Weise zum Schwingen bringt.
SW: Wie, wo und warum habt Ihr Euch kennengelernt?
Aoife Ní Bhriain: Damit hattest Du definitiv etwas zu tun, Steven. Wir haben uns 2017 beim PODIUM Festival in Esslingen kennengelernt. Dort haben wir ein Konzert von Björks Album »Homogenic« gespielt, unser erstes Projekt als Ensemble. Dank Dir, Steven, wurden wir zu einer Gruppe zusammengestellt und die Konstellation hat wirklich gut funktioniert. Wir haben es geschafft, an Tagen, die bereits mit anderer Musik vollgepackt waren, extra Zeit zum Proben zu finden, was zeigt, dass wir sehr begeistert von dem Projekt waren. Ich glaube, was uns nach diesem Konzert am meisten schockiert hat, war die Reaktion von Freunden und Publikum – dass es ihnen so gut gefallen hat. Also dachten wir, lass uns das weitermachen.
SW: Es war ein sofortiger Erfolg, würde ich sagen. Es war wie eine Explosion von etwas wirklich Großartigem. Jeder im Raum hat es gespürt. Habt Ihr es sofort gespürt, oder wart Ihr unsicher, wie großartig es tatsächlich war?
IA: Ich glaube, wir hatten auch Glück, denn das erste Album, das wir gemacht haben, war Björks »Homogenic«, und das ist so effektiv. Sobald ich das Album hörte, dachte ich: Das könnte ein Symphonieorchester sein. Ich weiß, dass wir kleiner sind als das, aber ich hatte sofort das Gefühl, dass sich die Musik gut arrangieren lässt. Hätten wir mit unserem zweiten oder dritten Album angefangen, Radioheads »Kid A« oder Beyoncés »Lemonade«, wäre es viel schwieriger gewesen.
SW: War das Björk-Album am einfachsten zu arrangieren?
IA: Ja, denn die Gesangslinien haben viel mit klassischen Melodien gemeinsam. Sie funktionieren so gut auf Streichinstrumenten. Man kann einfach eine Björk-Melodie spielen und es klingt unglaublich.
SW: Ian, Du bist der Hauptarrangeur. Wie arbeitet Ihr im Ensemble? Ian bringt eine Partitur oder einen groben Entwurf mit, und dann setzt Ihr Euch zusammen und arbeitet in einem gemeinsamen Prozess daran?
ANB: Ja, das ist der Grundgedanke. Ich schaue mir die Partitur von Ian an, ohne die Alben vorher zu hören. Ich betrachte sie unvoreingenommen, so als ob man etwas völlig Neues sieht, das noch nie zuvor gespielt worden ist. Wenn dann die Proben beginnen, hört man die anderen Instrumente und Abweichungen der eigenen Klangvorstellungen zu Ians Ideen. Irgendwann in diesem Prozess höre ich mir das Album dann selbst an, um herauszufinden, was ich da eigentlich gemacht habe. Ich finde, das ist der einzige Weg, wie ich wirklich an die Sache herangehen kann, denn sonst habe ich das Gefühl, dass man versucht, etwas zu imitieren, was unmöglich ist. Auch wenn es oft heißt, dass Nachahmung die schönste Form von Hommage ist, bin ich doch immer noch meine eigene Person, eine eigenständige Musikerin mit eigenem Klang.
IA: Was Du über Nachahmung sagst, ist sehr wichtig, denn unser größtes Ziel ist es, etwas zu schaffen, das für sich selbst steht. Wenn man also das Originalalbum nicht kennt, funktioniert es – als ein zeitgenössisches klassisches Stück. In gewisser Weise ist es der falsche Weg, mit einer Nachahmung zu beginnen, denn es muss etwas Eigenes sein.
SW: Es ist cool, dass Ihr ein Haufen ziemlich einzigartiger Musiker:innen seid. Aoife, Du bist tief in der klassischen Tradition verwurzelt, aber auch in der traditionellen irischen Musik, Dein Vater Mick O'Brien ist eine Legende in diesem Genre. Dann ist da noch Hulda, eine klassisch ausgebildete isländische Geigerin. Dann der Bassist Nikolai, ein Genie auf seinem Gebiet...
ANB: Er interessiert sich auch für Folk. Er spielt Folk mit seinem Vater, und Stefan, der Cellist, hat großes Interesse an bulgarischer Musik.
SW: Ja, er interessiert sich für alles Mögliche und hat diesen Balkan-Vibe. Es ist eine coole Gruppe von Musiker:innen, und ich glaube, das merkt man auch bei Aufführungen.
ANB: Ja, es ist definitiv eine Gruppe, in der wir uns die Freiheit nehmen können, unsere eigene Stimme zu finden, aber trotzdem Teil des Ensembles zu sein.
IA: Es hat eine ganze Weile gedauert, bis wir das als Gruppe gefunden haben, individualistisch zu sein, aber auch eine Einheit. Wie du schon sagtest, sind wir alle sehr unterschiedliche Menschen und Musiker:innen. Und das ist großartig für diese Art von Musik.
ANB: Ich denke, es ist sogar mehr als das. Es geht darum, einen Geisteszustand zu finden, in dem die Musik größer ist als deine Ausbildung. Dass man keine Angst hat, Geräusche zu machen, die unangenehm sind. Es geht darum, sich außerhalb der eigenen Komfortzone zu bewegen, Risiken einzugehen und etwas Neues zu schaffen. Wenn du eine von fünf bist, zählt jeder Ton, den du machst. Man muss sich selbst wirklich auf eine neue Art und Weise zuhören. Für mich persönlich hat mich das nicht nur aus meiner Komfortzone herausgeführt, wenn ich meine knapp 200-€-teure Geige mit allerlei Gegenständen schlage, z. B. mit Plektren oder mit Milchschäumern oder was auch immer, sondern es hat mir auch ermöglicht, in der klassischen Musik nach Klängen zu suchen, die ich vorher nicht gesucht hätte. Das ist wirklich faszinierend, in vielerlei Hinsicht befreiend, aber auch frustrierend. Jedes Mal, wenn ich mit Wooden Elephant spiele, muss ich danach eine Woche lang Tonleitern üben, nur um mich wieder zu disziplinieren.
SW: Wie wählt Ihr die Alben aus, die Ihr aufnehmt?
IA: Es muss ein Album sein, zu dem ich eine echte Verbindung habe. Ich muss von dem Album begeistert sein. Dann muss es eine Tiefe an musikalischen Ideen haben. Ich spreche hier nicht von Qualität, sondern von der Art und Weise, wie die Musik aufgebaut ist. Das kommt oft von den Schichten elektronischer Musik. Das ist normalerweise der Grund, warum wir elektronisch basierte Alben auswählen.
SW: Was ist das Frustrierendste und Belohnendste am Spielen dieser Musik?
ANB: Das Verrückte ist: Wenn man auf der Bühne ein Instrument spielt, hat man das Gefühl, die Kontrolle zu haben, weil es etwas ist, das man gelernt hat, etwas, das man sein ganzes Leben lang gemacht hat. In dem Moment, in dem du ein Quietschschweinchen oder eine Glocke oder ein Kazoo oder einen Milchaufschäumer mit Papier hinzufügst, kann alles schief gehen. Denn es ist völlig außerhalb deiner Kontrolle. Man ist völlig unerfahren in dieser Art von Aufführungspraxis. Und je mehr man auftritt, desto besser wird es. Das ist für mich wahrscheinlich das Frustrierendste, denn ich kritisiere meine eigene Leistung ständig. Man will ja, dass es eine Lernkurve ist. Mein Lieblingsmoment war, als wir »Homogenic« spielten und ein ältere Frau aus dem Publikum kam und fragte: »Wer ist der Komponist?«, weil sie annahm, dass wir einfach ein zeitgenössisches klassisches Stück gespielt haben. Wenn man auf diese Weise ein neues Publikum erreicht, ist das sehr befriedigend und macht die ganze Frustration absolut lohnenswert.
IA: Auch das funktioniert in beide Richtungen. Wir sind alle professionelle klassische Musiker:innen und präsentieren die Musik auf klassische Art und Weise. Aber dann kommen Leute in unsere Konzerte, die noch nie in einem klassischen Konzert waren, weil wir Radiohead oder Beyoncé spielen. Das hat den Effekt, dass wir die Leute an die klassische Musik heranführen und ihnen zeigen, dass sie nicht diese riesige furchterregende Sache ist. Und die Kehrseite ist, dass wir Menschen, die nur klassische Musik kennen und denken, dass Popmusik ›nicht gut‹ ist, tolle Musik vorstellen können. Das finde ich sehr spannend.
SW: Ich kenne nichts Vergleichbares. Es ist ein einzigartiges Modell der Kammermusik. Ich empfehle jedem, es sich anzusehen!
Wooden Elephant: Konzerte im Beethovenfest 2024
, Kreuzung an St. Helena
Mittendrin: Wooden Elephant spielt Aphex Twin
Wooden Elephant, Mathias Halvorsen
Aphex Twin