Ulf Buermeyer ist Jurist und Co-Host des erfolgreichsten Politik-Podcasts in Deutschland. Zum Abschluss unseres Musikfests der Demokratie am 3.10.2024 im ehemaligen Bonner Regierungsviertel moderiert er zusammen mit Journalist Philip Banse eine »Lage Live« im historischen Plenarsaal. Die Journalistin Hannah Schmidt hat nachgefragt: Wie steht es um unsere Demokratie?
In Ihrem Podcast »Lage der Nation«, den Sie zusammen mit Philip Banse machen, analysieren Sie schon seit einigen Jahren wöchentlich die deutsche Politik. Wie hat sich seit Beginn des Podcasts die politische Lage in Deutschland entwickelt?
Wir beobachten, dass politische Debatten immer weniger an der Sache orientiert verlaufen: Es kursieren leider viele Falschinformationen, oft werden Scheinprobleme diskutiert oder in populistischer Manier offenkundig ungeeignete Lösungen für reale Probleme vorgeschlagen. Angesichts dieser Flut von irreführenden Informationen und zugleich sehr realer Probleme macht sich bei vielen Menschen Frust breit.
Welche Rolle hat der Journalismus bei dieser Entwicklung gespielt?
Ausgangspunkt des geschilderten Problems sind die politischen Parteien, die – natürlich mit erheblichen Unterschieden – teils weniger an der Sache orientiert kommunizieren als noch vor zehn Jahren. Zugleich nehmen nicht alle Medien in ausreichendem Maße die Herausforderung an, die Menschen in Deutschland angesichts dessen wirklich fundiert zu informieren. Es reicht heute nicht mehr zu berichten, dass Partei A dieses fordere und Partei B jenes. Die Menschen in Deutschland sind darauf angewiesen, dass politische Positionen analysiert und eingeordnet werden.
Was bedeutet das konkret?
Medien müssen politische Statements auf Korrektheit prüfen und gegebenenfalls auch direkt als falsch kennzeichnen. Die Äußerung von Friedrich Merz zu den angeblich allzu großzügig gewährten Zahnbehandlungen war beispielsweise mit einem kurzen Blick ins Gesetz zu widerlegen. Hier dürfen Schlagzeilen dann nicht lauten, dass Merz etwas kritisiere, sondern es muss deutlich werden, dass er die Unwahrheit sagt.
Vor diesem Hintergrund: Wie steht es aus Ihrer Sicht 2024 um die Demokratie in Deutschland – und warum?
Wir diskutieren oft an den wahren Probleme des Landes vorbei. Wir haben in unserem Buch »Baustellen der Nation« acht Politikfelder geschildert, auf denen in den letzten Jahrzehnten vieles liegen geblieben ist oder Weichen gleich ganz falsch gestellt wurden. Aber statt diese Baustellen engagiert anzugehen, kreist die öffentliche Diskussion bei uns oft um Scheinprobleme wie beispielsweise Migration oder Gendern. So kommen wir nicht weiter, so entsteht ein Reformstau – und das lässt manche Menschen an der Leistungsfähigkeit der Demokratie insgesamt zweifeln.
Zu diesen »Baustellen«, die Sie beschreiben, zählen Sie unter anderem den Zustand der Bahn, ungleiche Startchancen für Kinder und den schwerfälligen Föderalismus. Welche dieser acht Baustellen hat die größte Dringlichkeit?
Alle Baustellen müssen jetzt angegangen werden, weil sie für die Zukunft unseres Landes wesentlich sind, und zugleich hängen viele zusammen, etwa Bildung und Digitalisierung. Aber es gibt eine Baustelle, die tatsächlich in alle Politikfelder hinein Probleme schafft, nämlich unser derzeit allzu dysfunktionaler Föderalismus. Wenn ich mir also eine Lösung aussuchen könnte, die die Parteien möglichst schnell angehen sollten, dann wäre es die Abschaffung der heutigen Blockademacht des Bundesrats.
Tut die aktuelle Regierung genug und das richtige, um die Baustellen anzugehen?
Die Bundesregierung stellt einige Weichen richtig, beispielsweise um die Bahn wieder flott zu bekommen oder mehr erneuerbare Energien zu produzieren. Auf den meisten Baustellen aber tut sich bisher sehr wenig, und die Ampel allein kann angesichts der Mitregierung der Union via Bundesrat auch nur sehr wenig bewegen.
Was müsste politisch geschehen?
Das lässt sich nicht in einem Satz zusammenfassen – das steht in unserem Buch. Über die meisten Baustellen lässt sich aber sagen, dass Bund, Länder und Kommunen viel mehr Geld in die Hand nehmen müssen, um den gigantischen Investitions- und Sanierungsstau aufzulösen, der in 20 Jahren Sehnsucht nach der »Schwarzen Null« entstanden ist – konservative Schätzungen gehen von 600 Milliarden Euro Infrastrukturschulden aus.
Was passiert, wenn sich da nichts ändert?
Wenn keine Reform der Schuldenbremse gelingt, die diese Investitionen ermöglicht, bleiben nur massive Steuererhöhungen, denn die Ausgaben als solche sind alternativlos. Für die Bundeswehr und die Bahn hat die Ampel das schon erkannt, aber die Misere betrifft auch viele andere Felder, etwa die Bildung, den ÖPNV, das Gesundheitssystem oder die digitale Infrastruktur.
Nun haben wir in der öffentlichen Diskussion und im Parlament mit einem immer stärker werdenden Rechtspopulismus zu tun. Was kann aus Ihrer Sicht die Politik, was kann die Bevölkerung jetzt dagegen tun?
Die demokratischen Parteien in Deutschland sollten eine gemeinsame Initiative starten, um die Blockademacht des Bundesrats zu brechen. Die Mehrheit im Bundestag muss wieder gestalten können, ohne dass die Länder sie bei allen wesentlichen Fragen sabotieren können. Das ist letztlich ein Gebot des Demokratieprinzips: Wer bei der Bundestagswahl eine Mehrheit erringt, muss seine Vorstellungen auch umsetzen können.
In einem nächsten Schritt sollten die Parteien überlegen, was die realen Sorgen der Menschen sind – also nicht Migration oder Gendern, sondern ÖPNV, Schulen, Infrastruktur etc. – und sich diesen Themen engagiert widmen.
Live-Podcast im Festival 2024
, Plenarsaal des Bundestages
Live-Podcast: »Lage der Nation«
Ulf Buermeyer, Philip Banse