Sasha Waltz ist eine der gefragtesten Choreographinnen Deutschlands. Beim Beethovenfest 2023 führt sie »In C« mit ihrer Compagnie Sasha Waltz & Guests und dem Ensemble Musikfabrik in der Oper Bonn auf.
1. Das Stück »In C« von Terry Riley hat einen improvisierten Charakter durch die Variabilität, mit der die Musiker:innen die 53 Abschnitte spielen können. Arbeiten Sie in Ihrer Choreographie auch mit Improvisation?
Ich finde den Begriff Improvisation in diesem Zusammenhang schwierig, »In C« ist nämlich eigentlich ein Hybrid, Choreographie und Improvisation in Vermählung. Terry Riley hat eine Partitur mit 53 musikalischen Figuren geschrieben und ich habe dazu 53 choreographische Figuren entwickelt. Diese sind festgeschrieben, nicht improvisiert. Man kann sie auch nicht variabel kombinieren, sondern es gibt eine Chronologie: die Tänzer:innen fangen bei 1 an und enden bei 53. Sie entscheiden allerdings frei, wann sie von einer Figur in die nächste springen, ähnlich wie die Musiker:innen. Dadurch entstehen Verschiebungen und Verschachtelungen der unterschiedlichen Figuren ineinander. Es kann sein, dass manchmal drei oder vier Figuren gleichzeitig auf der Bühne zu sehen oder zu hören sind. Weil im Tanz aber noch der Raum dazu kommt, musste ich zusätzlich Regeln oder Gesetze einführen, die den Raum strukturieren. Die sind tatsächlich variabel: So ist jede Aufführung immer wieder anders.
2. Wenn sowohl Tänzer:innen als auch Musiker:innen eine gewisse Freiheit in der Abfolge haben, wie ist dann ihr Verhältnis zueinander organisiert?
Die Tänzer:innen sind wie ein zweites Orchester auf der Bühne, die Körper sind die Instrumente. Tänzer:innen und Musiker:innen hören aufeinander und achten darauf, an welcher Stelle im Stück die anderen sich befinden. Es gibt ein paar Verabredungen, damit beide Gruppen sich nicht zu weit voneinander entfernen. In der Partitur ist vorgeschrieben: vier bis fünf Figuren darf man auseinander sein, dann muss man weiterrücken. Das gilt auch für den Tanz im Verhältnis zur Musik.
3. Die Musik von Terry Riley hat etwas sehr Hypnotisches, sie kreist immer um den Ton C. Welche tänzerische Antwort gibt Ihre Choreographie auf diese statische Musik?
Es ist zwar immer das C präsent, aber ich empfinde die Musik als alles andere als statisch, eher wie einen Herzschlag, der immer weitergeht und uns in seinem Strom mitnimmt. Ich empfinde es als ein sehr dynamisches Stück, denn es gibt keine Pausen. Die Musik erzeugt durch die Wiederholungen ein Gefühl von Rausch oder Ekstase. Ich habe in der Arbeit gemerkt, dass die Tänzer:innen das nicht so durchhalten können wie ein Instrumentalist, der Körper hat physische Grenzen. Darum habe ich einige Dynamikwechsel eingebaut.
4. »In C« ist eine Art open-source-Choreographie, die an andere Tanzgruppen weltweit weitergegeben wird. Wie kam es zu diesem offenen Werk?
»In C« ist in der Pandemie entstanden. Wir haben es während des Lockdowns erarbeitet, wo es die Distanzregeln gab. Ich habe mir überlegt: Wie kann ich Tanz machen, wenn wir uns nicht berühren können? So haben wir über Zoom gearbeitet. Ich habe die einzelnen Figuren in Video-Tutorials festgehalten. Diese Tutorials geben wir jetzt auch an andere Tanzgruppen weiter. Ich habe die Tänzer:innen von Sasha Waltz & Guests als Tutor:innen zertifiziert, wenn sie mit mir gearbeitet und dieses Stück verstanden haben. Inzwischen haben wir auch einfachere Versionen des Stücks für Kinder oder nicht-professionelle Tänzer:innen entwickelt. Die Tutorials sind quasi eine choreographische Partitur, die andere Gruppen interpretieren können. Vor Kurzem haben zwei Gruppen in der Ukraine das Werk während des Kriegs online einstudiert und beim KharkivMusicFestival aufgeführt. Diese Möglichkeit ergab sich durch diese neue Arbeitsweise. Ich hoffe einfach, dass Menschen daran Freude haben.
5. Im Beethovenfest 2023 beschäftigen wir uns mit Nachhaltigkeit. Haben Sie mit »In C« auch das Ziel, künstlerische Arbeitsweisen nachhaltiger zu gestalten?
Wir wollen als Compagnie klimabewusst agieren. Das Prinzip, eine Choreographie für andere Gruppen online freizugeben, reduziert zum Beispiel das eigene Reisen. Das heißt nicht, dass wir gar nicht mehr aufführen, aber es ist eine Möglichkeit, wie man das skalieren kann. In C hat außerdem eine ganz einfache Bühnenversion, nur die Kostüme nehmen wir sozusagen im Handgepäck mit. Wir brauchen keinen aufwändigen Transport. Das Stück ist für alle Situationen adaptierbar: Open Air, oder ohne die Rückwand und ohne das Licht. Es müssen zudem keine produzierten Kostüme sein, auch wenn die Farben vorgegeben sind.
Sasha Waltz beim Beethovenfest Bonn 2023
, Oper Bonn
Sasha Waltz: IN C
Ensemble Musikfabrik, Sasha Waltz & Guests, Sasha Waltz
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Sasha Waltz: IN C
Ensemble Musikfabrik, Sasha Waltz & Guests, Sasha Waltz