Jürg Halter ist Lyriker, Spoken Word Artist und Bildender Künstler. Im Eröffnungskonzert des Beethovenfests 2023 bringt er seinen neuesten Song »Wir sind gute Menschen« auf die Bühne – erstmals in einer Live-Version mit Orchester und Spoken Word.
1. »Wir sind gute Menschen« ist ein zynischer Abgesang auf die Menschheit – gibt es Hoffnung, für die Zukunft etwas ›Gutes‹ zu tun?
Ich würde sagen, ein vielstimmiger Abgesang, zynisch in manchen Zeilen, verzweifelt und wütend in anderen. Ich sehe das Stück aber auch als Weckruf. Unterschwellig ist in »Wir sind gute Menschen« vielleicht gar eine unbestimmte Hoffnung zu vernehmen. Denn ja, ohne Hoffnung stirbt man. Aber mit moralistischer Herablassung überzeugt man Menschen nicht, sich zu ändern und die Not der Lage zu erkennen. Im Gegenteil. Wir sind alle Teil des Problems, manche viel mehr, manche bedeutend weniger.
2. Gibt es ein Ereignis, das zum Anlass der Dichtung wurde?
Es ist nicht ein bestimmtes Ereignis. Es fällt mir einfach immer wieder auf: Die, die am moralistischen auftreten, zeichnen sich nicht selten durch eine besonders perfide Doppelmoral aus. An jedem Wirtschafts- und Klimagipfel geloben die, die tatsächlich entscheidend etwas ändern können, Besserung. Meist bleibt es bei leeren Versprechen, etwas Greenwashing und Symbolpolitik. Klar ist eigentlich allen: Mit Eigenverantwortung schaffen wir die Klimawende nicht. Was mir auch immer wieder auffällt: Die, die es sich leisten können, rufen besonders gerne öffentlich zum Verzichten auf.
3. Wie ist der Song »Wir sind gute Menschen« in Zusammenarbeit mit den zwei Ko-Komponisten und entstanden?
Ich arbeite oft prozessorientiert und mit unterschiedlichen Musikerinnen und Musikern. In diesem Fall ist der Song aus einer Session mit dem im letzten Jahr verstorbenen Meisterschlagzeuger Fredy Studer und dem Pianisten Roberto Domeniconi entstanden. Als Gaststimme ist später noch der Stimmkünstler Andreas Schaerer für Chöre und Beatbox-Elemente hinzugekommen. Produziert habe ich das Lied mit Luk Zimmermann.
4. Warum performen Sie Ihre Texte, was fasziniert Sie am »Spoken Word«?
Ich bin ein vielseitiger Sprachkünstler. Ich schreibe Bücher, Essays, halte Vorträge, male Sprachbilder und trete auch immer wieder mit Musikern auf. Das gesprochene Wort ist aber die unmittelbarste Form von Literatur. Und deshalb auch zentral für mein Schaffen.
5. Beethoven, klassische Musik: Gibt es einen Anknüpfungspunkt an Ihre eigene künstlerische Arbeit?
Beethoven war zu seiner Zeit ein unangepasster Visionär und keineswegs so unumstritten, wie er heute ist. Damit kann ich mich, wenn ich auch in einem anderen Feld und zu einer ganz anderen Zeit tätig bin, identifizieren. Ich bin auch ein Suchender, der Neues wagt und nicht den Weg des geringsten Widerstandes geht. Ich bin kein Klassikkenner, aber ich liebe klassische Musik. Für mich sind die Grenzen zwischen den verschiedenen Kunstgenres fließend. Deshalb ist es für mich auch selbstverständlich, transdisziplinär zu arbeiten. Aus der Idee ergibt sich die Form.
Jürg Halter im Beethovenfest 2023
, Oper Bonn
Eröffnungskonzert
Tonhalle-Orchester Zürich, Jürg Halter (Achtung Niemand), Anastasia Kobekina