Freiburger Barockorchester
Vox Luminis
Solist:innen des Chors:
Gwendoline Blondeel Sopran
Alexander Chance Alt
Raphael Höhn Tenor
Sebastian Myrus Bass
Lionel Meunier Künstlerische Leitung
28.8.– 27.9. 2025
Freiburger Barockorchester
Vox Luminis
Solist:innen des Chors:
Gwendoline Blondeel Sopran
Alexander Chance Alt
Raphael Höhn Tenor
Sebastian Myrus Bass
Lionel Meunier Künstlerische Leitung
Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Messe für Soli, Chor und Orchester h-Moll BWV 232, »h-Moll-Messe«
I. Missa [Kyrie und Gloria]
Pause
II. Symbolum Nicenum [Credo]
III. Sanctus
IV. Osanna, Benedictus, Agnus Dei, Dona nobis pacem
»[...] von J. Sebastian Bach eine Missa worin sich [ein] Cruxifixus mit einem Basso ostinato […] befinden soll« – mit diesen Worten bestellte sich Ludwig van Beethoven die Partitur der »h-Moll-Messe« beim Verleger Breitkopf und Härtel im Jahr 1810. Ob er die Noten erhalten hat, ist ungewiss – und damit bleibt unklar, ob Bachs monumentale Messe ihn tatsächlich einige Jahre darauf bei der Komposition seiner »Missa solemnis« beeinflusst hat, deren 200. Jubiläum wir dieses Jahr feiern.
Das ändert nichts daran, dass Beethoven die ihm zur Verfügung stehenden Kompositionen des Barockmeisters intensiv studierte und sich davon inspirieren ließ. Bachs »h-Moll-Messe« weist auch innerhalb von Bachs Schaffen viele Bezüge zu anderen seiner Werke auf. Es lohnt sich, auf Spurensuche zu gehen!
Die Entstehungsgeschichte von Bachs Messe ist komplex und langwierig: Zu Weihnachten 1724 (im Jahr nach seinem Amtsantritt in Leipzig) wollte der Thomaskantor eine besondere neue Komposition aufführen. So ertönte neben seiner festlichen Kantate (diese Gattung stand im musikalischen Zentrum des protestantischen Gottesdiensts) ein lateinisches Sanctus, das Aufsehen erregte. Normalerweise war die Kirchenmusik im lutherischen Leipzig in deutscher Sprache, doch es gab Ausnahmen. So existieren von Bach neben zwei Fassungen des lateinischen Magnificat auch Messen, die jedoch nur aus den beiden Teilen Kyrie und Gloria bestehen (BWV 233 bis 236). Als er sich im Juli 1733 um die Verleihung des Titels eines »Hofcompositeurs« des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs Friedrich August II. bewarb, legte er seinem Gesuch den Stimmensatz einer solchen »Missa« (BWV 232) bei.
Diese heute sogenannte »h-Moll-Messe« ist die einzige vollständige Vertonung aller Messe-Teile aus Bachs Feder. Bach fügte etwa 1748/49 die zusätzlichen Teile als Erweiterung zur vollen Messe hinzu. Eine auskomponierte Messe besteht in der Regel aus fünf nach den jeweiligen Textanfängen benannten Teilen: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei. Bachs autographe Partitur der »h-Moll-Messe« besteht indessen aus vier einzelnen Manuskript-Teilen mit jeweils eigenem Titelblatt, die von 1 bis 4 durchnummeriert sind, wobei die Nummer 1 (Kyrie und Gloria enthaltend) sich in der Papiersorte und Handschrift deutlich von den Nummern 2, 3 und 4 unterscheidet. Im Material spiegelt sich somit der Entstehungsprozess.
Im Nachlassverzeichnis wird das Werk von Carl Philipp Emanuel Bach (dem zweitältesten Sohn) als »die große catholische Messe« angegeben. War das die Bezeichnung, die auch Johann Sebastian Bach verwendete? Und liegt der Grund dafür in der Vollständigkeit oder hat das etwas mit dem sächsischen Hof zu tun, der durch die Herrschaft über Polen 1697 katholisch geworden war? Es kann nur darüber spekuliert werden, aus welchem Grund Bach die Erweiterung seiner ursprünglichen »Missa« (bestehend aus Kyrie und Gloria) von 1733 und des Sanctus aus dem Jahr 1724 unternahm. Ein Anlass für eine Aufführung ist nicht belegt. Es gab Überlegungen, ob Bach an die Einweihung der Dresdner Hofkirche 1751 oder gar an eine Aufführung in Wien dachte, doch fehlen dafür konkrete Nachweise. Ging es ihm bei dieser derart anspruchsvollen Komposition primär um ein künstlerisches Vermächtnis? Auffallend ist, dass er bei der Erweiterung der Partitur nicht nur neu komponierte (die berühmteste Originalkomposition darin ist das »Et incarnatus«), sondern auf bereits vorhandene Werke zurückgriff, die er möglicherweise so für die Nachwelt aufwerten und bewahren wollte.
In Eisenach am 21. März 1685 geboren; gestorben am 28. Juli 1750 in Leipzig.
Nach dem Tod der Eltern (1694/95) kommt er zu seinem Bruder Johann Christoph, Organist in Ohrdruf, und erlernt dort das Orgelspielen.
Als Chorknabe an der Michaelisschule in Lüneburg wird er Schüler des bedeutenden Organisten Georg Böhm, studiert später auch bei Dietrich Buxtehude in Lübeck.
Zunächst 1703 Violinist in der herzoglichen Privatkapelle in Weimar, weitere Wirkungsstätten als Kammermusikus, Konzertmeister, Organist, Hofkapellmeister: Arnstadt, Mühlhausen, erneut Weimar, Köthen.
Am 1. Juni 1723 wird er als dritter Kandidat Thomaskantor und »Director musices« in Leipzig (er profitiert davon, dass Georg Philipp Telemann und Johann Christoph Graupner diese Stelle nicht antreten). Zu seinen Pflichten gehört die wöchentliche Aufführung von Kantaten im Gottesdienst an Sonn- und Festtagen; somit werden jährlich ca. 60 Kantaten benötigt.
Er wirkte fast nur im sächsisch-thüringischen Kulturraum, doch seine Werke werden weltweit aufgeführt, sind eine intellektuelle Herausforderung und haben die Musikgeschichte maßgeblich geprägt – nur als Opernkomponist ist er nicht hervorgetreten.
Diese Technik, vorliegende Werke zu bearbeiten, mit einem neuen Text zu versehen und damit in anderer Gestalt wieder erklingen zu lassen, gehört zu den Besonderheiten der Barockzeit. Das Verfahren ist weit mehr als Arbeitsökonomie. So manche Originalkomposition wird heute kaum noch aufgeführt, während die im Parodieverfahren entstandene Neufassung Berühmtheit erlangte. Die sechs unter dem Namen »Weihnachtsoratorium« bekannten Kantaten etwa haben ein reges Vorleben in anderen Werken Bachs. Und auch bei der »h-Moll-Messe« gibt es zahlreiche Vorlagen.
Zum Beispiel beruht das berühmte »Crucifixus« auf einem Teil der Kantate »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen« aus dem Jahr 1714. Dieser ausdrucksstarke Chorsatz stellt einen Klagegesang, ein Lamento in Form einer Passacaglia dar: Über einer gleichbleibenden, sich zwölfmal wiederholenden absteigenden Basslinie erklingt ein seufzender Wechselgesang der Vokalstimmen.
In allen Fällen von ›recycelter‹ Musik gibt es enge inhaltliche Bezüge, oder anders ausgedrückt: Der Affekt, die vorherrschende Grundstimmung und somit der Gesamtcharakter der Musik bleiben gleich, sodass das Ergebnis der künstlerischen Transformationsprozesse absolut stimmig ist.
Diese Tonart ist eigentlich problematisch für ein Werk »mit Pauken und Trompeten«. Bachs Zeitgenosse, der Komponist und Musiktheoretiker Johann Mattheson schrieb 1713 in »Das Neu-Eröffnete Orchestre«: »H.Moll. ist bizarre, unlustig und melancholisch; deswegen er [= dieser Ton] auch selten zum Vorschein kommet.« Beethoven stand übrigens in dieser Tradition und bezeichnete h-Moll als »schwarze Tonart«.
Der heute gebräuchliche Name der Messe bezieht sich auf den Anfang. Denn nur fünf aller Abschnitte beginnen in h-Moll: 1. »Kyrie eleison«, 7b. »Qui tollis peccata mundi«, 8. »Qui sedes ad dextram Patris«, 13. »Et incarnatus est« und 20. »Benedictus«.
Die Vielfalt der Tonarten und ihre kunstvolle Verwendung sind atemberaubend: Wenn es um Christi Kreuzigung und Tod geht, findet sich e-Moll. Mattheson charakterisierte diese als eine Tonart, die »tieffdenckend / betrübt und traurig zu machen pfleget / doch so / daß man sich noch dabey zu trösten hoffet«. Bei Schilderung der Grablegung (»et sepultus est«) wird überraschend in die Tonart G-Dur gewechselt, bevor die Instrumente verstummen und der Satz mit tief liegenden Gesangsstimmen endet.
Es folgt der Jubel über die Auferstehung (»Et resurrexit«) in D-Dur. Eine Parodievorlage dafür ist nicht bekannt, jedoch dürfte es sich um einen Konzertsatz gehandelt haben, mit großem Orchester und umfangreichen instrumentalen Abschnitten, wie es bei einer höfischen Festmusik üblich war.
»Bachs ›h-Moll-Messe‹ begleitet das Freiburger Barockorchester seit drei Jahrzehnten und verblüfft uns doch immer wieder aufs Neue. Die Monumentalität, die Komplexität und die zahlreichen Querverweise zu seinen anderen Kompositionen machen die Messe wahrhaftig zu Bachs Vermächtnis.«
– Péter Barczi, Konzertmeister des Freiburger Barockorchesters
Zweifellos steht die menschliche Stimme im Zentrum des Werks. Der Chor ist unterschiedlich besetzt: Vierstimmig, fünfstimmig oder sechsstimmig, im letzten Teil dann als achtstimmiger Doppelchor – mit entsprechender Wirkung eines großen Chorfinales. Aber auch die Instrumentation ist bei näherer Betrachtung sehr differenziert und es lohnt sich, genau hinzuhören. Wenn beispielsweise im »Gloria« die Solovioline konzertant hervortritt (5. »Laudamus te«), bleiben die anderen Streicher gedämpft im Hintergrund – wie auch bei dem von ebenfalls gedämpften Streichern begleiteten Solo der Flöten (7a. »Domine Deus«).
In der Alt-Arie (8. »Qui sedes ad dextram Patris«) tritt die Oboe d’amore auf. Und in der anschließenden Bass-Arie (9a. »Quoniam tu solus sanctus«) dominiert mit dem Corno da caccia (einem Horninstrument) und zwei Fagottstimmen ein warmer Bläserklang. Hier sind ausgezeichnete Solist:innen gefragt, die entsprechend aus dem Klangkörper hervortreten. Das »Sanctus« erhält eine strahlende Besetzung mit bis zu drei Oboen, drei Trompeten und Pauken.
Gerne mag man Violinist Péter Barczi glauben, dass dieses Werk ein Orchester dazu einlädt, sich über drei Jahrzehnte immer wieder neu auf die Suche auch nach dem besonderen Klang zu machen.
Text: Beate Angelika Kraus
1. Chor: Kyrie eleison.
2. Aria (Sopran I, Sopran II): Christe eleison.
3. Chor: Kyrie eleison.
4a. Chor: Gloria in excelsis Deo, et in terra pax hominibus bonae voluntatis.
4b. Chor: Et in terra pax hominibus bonae voluntatis.
5. Aria (Sopran II): Laudamus te, benedicimus te, adoramus te, glorificamus te.
6. Chor: Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam.
7a. Aria (Sopran I, Tenor): Domine Deus, Rex coelestis, Deus Pater omnipotens, Domine Fili unigenite, Jesu Christe altissime, Domine Deus, Agnus Dei, Filius Patris.
7b. Chor: Qui tollis peccata mundi, miserere nobis, qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostram.
8. Aria (Alt): Qui sedes ad dextram Patris, miserere nobis.
9a. Aria (Bass): Quoniam tu solus sanctus, tu solus Dominus, tu solus altissimus Jesu Christe.
9b. Chor: Cum Sancto Spiritu in gloria Dei Patris. Amen.
***
10. Chor: Credo in unum Deum.
11. Chor: Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium.
12. Aria (Sopran I, Alt): Et in unum Dominum Jesum Christum, Filium Dei unigenitum et ex Patre natum ante omnia secula. Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum de Deo vero, genitum, non factum con-substantialem Patri, per quem omnia facta sunt. Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis.
13. Chor: Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria virgine, et homo factus est.
14. Chor: Crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Pilato, passus et sepultus est.
15. Chor: Et resurrexit tertia die secundum scripturas, et ascendit in coelum, sedet ad dexteram Dei Patris, et iterum venturus est cum gloria judicare vivos et mortuos, cuius regni non erit finis.
16. Aria (Bass): Et in Spiritum Sanctum Dominum et vivificantem, qui ex Patre Filioque procedit; qui cum Patre et Filio simul adoratur et conglorificatur; qui locutus est per Prophetas. Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam.
17a. Chor: Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum.
17b. Chor: Et expecto resurrectionem mortuorum et vitam venturi seculi, amen.
***
18a. Chor: Sanctus Dominus Deus Sabaoth.
18b. Chor: Pleni sunt coeli et terra gloria eius.
***
19. Chor: Osanna in excelsis.
20. Aria (Tenor): Benedictus qui venit in nomine Domini.
21. Chor: Osanna in excelsis.
22. Aria (Alt): Agnus Dei qui tollis peccata mundi, miserere nobis.
23. Chor: Dona nobis pacem.
***
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Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Lektorat:
Heidi Rogge
Die Texte von Beate Angelika Kraus sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.