Jakow Pavlenko Violine
Julian Emanuel Becker Orgel
28.8.– 27.9. 2025
Jakow Pavlenko Violine
Julian Emanuel Becker Orgel
Johann Ulrich Steigleder (1593–1635)
»Die 40. und letste Variation ›Auff Toccata Manier‹« aus dem Tabulaturbuch »Dass Vatter Unser« für Orgel solo
Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Sonate Nr. 1 für Violine solo g-Moll BWV 1001
I. Adagio
II. Fuga. Allegro
III. Siciliana
IV. Presto
Johann Sebastian Bach
Sonate Nr. 4 für Violine und Orgel c-Moll BWV 1017
I. Siciliano. Largo
II. Allegro
III. Adagio
IV. Allegro
Georg Muffat (1653–1704)
Toccata Nr. 8 für Orgel solo aus »Apparatus Musico-Organisticus«
Johann Sebastian Bach
Partita Nr. 3 für Violine solo E-Dur BWV 1006
I. Preludio
II. Loure
III. Gavotte en rondeau
IV. Menuet I – Menuet II
V. Bourrée
VI. Gigue
Johann Sebastian Bach
Passacaglia und Fuge für Orgel solo c-Moll BWV 582
Das Lieblingsinstrument des praktizierenden Musicus Johann Sebastian Bach war bekanntlich die Orgel. Und an ihr erlangte er gerade im Pedalspiel eine konkurrenzlose Meisterschaft. So muss er mit seinen Füßen Bassfiguren derart virtuos hingelegt haben, »dass mancher mit 5 Fingern sie kaum heraus gebracht haben würde«, so der Bach-Biograph Johann Nikolaus Forkel. Zu den auch intellektuellen Gipfelwerken des Orgelrepertoires gehört das Doppelpaar »Passacaglia und Fuge«, das diese »Begegnung mit Bach« abrundet. Zuvor lernt man mit Johann Ulrich Steigleder und Georg Muffat zwei süddeutsche Organisten kennen, die mit ihren Toccaten das Fundament für Bachs berühmte Toccaten bereiteten. Außerdem verbündet sich die Orgel in einer Bach-Sonate mit der Violine und damit einem Streichinstrument, an dem es Bach in seinen Weimarer Jahren bis zum Konzertmeister gebracht hatte. »Er verstand die Möglichkeiten aller Geigeninstrumente vollkommen«, so Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel. Und als Paradebeispiel nannte der Junior auch die sechs Solo-Sonaten und -Partiten, von denen heute jeweils eine zu hören ist.
Bereits der kleine Bach muss einen unstillbaren Wissensdurst besessen haben. So erzählt eine Anekdote, dass der Zehnjährige heimlich und bei Mondenschein Orgel- und Cembalowerke aus einem Manuskript seines älteren Bruders Johann Christoph abgeschrieben habe. Darunter fanden sich Stücke des Sachsen Johann Kaspar von Kerll, aber auch Johann Jakob Frobergers. Zu den musikalischen Spezialitäten des Stuttgarters gehörten nicht nur mehrsätzige Suiten. Seine für den jungen Bach inspirierende Domäne war die anspruchsvolle ›Toccata‹-Gattung, bei der virtuoser Schwung mit kontrapunktischem Formbewusstsein verschmilzt. Frobergers wichtigster Lehrmeister auf diesem Gebiet dürfte Johann Ulrich Steigleder gewesen sein, bei dem er in die Organistenlehre gegangen war.
(Getauft 22. März 1593 Schwäbisch Hall – 10. Oktober 1635, Stuttgart)
Steigleder stammte aus einer Stuttgarter Organistendynastie. 1616 wurde er Organist in St. Stephan in Lindau und 1617 Stiftsorganist in Stuttgart. Mitten im Dreißigjährigen Krieg fiel er in Stuttgart der Pest zum Opfer. Überliefert sind von Steigleder zwei von ihm herausgegebene Tabulaturbücher.
Der in Schwäbisch Hall geborene Steigleder hat zwei Noten- bzw. Tabulaturbücher herausgegeben, wobei das 1627 entstandene, zweite Tabulaturbuch »Darinnen dass Vatter unser auff 2, 3, und 4 Stimmen componirt, und viertzig mal varirt würdt« eines der monumentalsten Variationenwerke der Musikgeschichte enthält. Vierzig Variationen hat Steigleder über das Lutherlied »Vater unser im Himmelreich« geschrieben. Und mit der »40. und letsten Variation ›Auff Toccata Manier‹« krönte Steigleder sein Opus Magnum auch für Julian Emanuel Becker auf ganz besondere Weise. Denn für den Organisten besitzt sie »den flehenden Charakter eines Gebets zu Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs«.
Den Variationenreigen Steigleders dürfte Bach nicht gekannt haben. Ziemlich sicher hingegen ist, dass ihm der »Apparatus Musico-Organisticus« von Georg Muffat vertraut war. 1690 war diese Sammlung seiner zwölf Toccaten erschienen. Und Muffat unterstrich damit seinen Ruf als einer der bedeutendsten Komponisten seiner Zeit. Das in Savoyen geborene Ausnahmetalent hatte in Paris bei Jean-Baptiste Lully und später in Rom bei Arcangelo Corelli studiert. Und schon bald machte er mit Kompositionen von sich reden, in denen er die Stilelemente der französischen mit der italienischen Musik nachhaltig zusammenführte. Diese Einflüsse finden sich auch in Muffats einzigem Orgelwerk, in dem »Apparatus Musico-Organisticus« – und da in der ›Toccata octava‹, der Achten in G-Dur.
(Getauft 1. Juni 1653, Mégève (Savoyen) – 23. Februar 1704, Passau)
Muffat gehört zu den wichtigsten Komponisten und Organisten des süddeutsch-österreichischen Raums in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Seit 1678 wirkte er als erzbischöflicher Organist in Salzburg, von 1690 bis zu seinem Tode in Passau als Kapellmeister des Bischofs. Sein einziges Orgelwerk ist in der prächtigen Ausgabe »Apparatus Musico-Organisticus« (1690 in Salzburg) überliefert. Außerdem existieren von ihm zahlreiche Orchester- und Kammermusikwerke.
Im Gegensatz etwa zum sächsischen Kollegen Georg Friedrich Händel hat es den Familienmenschen Bach nie in die Ferne gezogen, um sich in fremden Ländern umzuhören und die neuesten musikalischen Entwicklungen aufzusaugen. Bis auf einige kleinere Abstecher, die ihn nach Lüneburg, Hamburg oder Berlin führten, hielt er sich Zeit seines Lebens ausschließlich in dem geografisch enggesteckten Viereck Eisenach – Weimar – Köthen – Leipzig auf. Doch Bach registrierte stets und ganz genau, was sich gerade in Italien und Frankreich an musikalischen Moden tat. Und diese Einflüsse schlugen sich ebenfalls in den kammermusikalischen Violinwerken nieder.
1720 legte Bach die Reinschrift einer Werkgruppe vor, die in der Geschichte des Violinspiels eine Zeitenwende einläutete. Mit »Sei Solo a Violino senza Basso accompagnato« hatte der Köthener Kapellmeister sein Autograf betitelt, das drei Sonaten und drei Partiten für Violine solo umfasst. Und der epochale Geist dieses Zyklus wurde im 18. Jahrhundert sogleich erkannt. So schrieb Bachs zweitältester Sohn Carl Philipp Emanuel Bach:
»Einer der größten Geiger sagte mir einmal, dass er nichts vollkommneres, um ein guter Geiger zu werden, gesehen hätte u[nd] nichts besseres den Lehrbegierigen anraten könnte, als obengenannte Violinsoli ohne Bass.«
Die sich mit den Partiten abwechselnden drei Sonaten folgen allesamt dem Vorbild der viersätzigen italienischen »Sonata da chiesa« – mit der Satzfolge langsam – schnell – langsam – schnell. Und stets folgt auf den Kopfsatz eine Fuge. Schon das Eröffnungs-Adagio der Sonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001 muss man als kleines Konstruktionswunder bezeichnen, da Bach hier dem reich ornamental ausgeschmückten Improvisationscharakter eine zugleich streng proportionierte Form gibt. Ähnlich verhält es sich mit der Fuga, die in ihrer Synthese aus kontrapunktischer Dichte, Virtuosität und lichtendem Ausdruck Bach-Zeitgenossen wie den Geigenvirtuosen Francesco Veracini verblüffte.
(21. März 1685, Eisenach – 28. Juli 1750, Leipzig)
Bach war der bedeutendste Barockkomponist. Zudem wirkte er als Organist und Cembalist. Ab 1723 war er Thomaskantor in Leipzig. Zu seinen herausragenden Werken gehören seine Kantaten, die Solo-Werke für Violine bzw. Violoncello, das »Wohltemperierte Klavier«, die »Kunst der Fuge« sowie zahlreiche Orgelkompositionen. Mit seiner zweiten Gattin Anna Magdalena hatte Bach 13 Kinder.
Im Vergleich zu ihren Schwesterwerken ist die Partita Nr. 3 E-Dur BWV 1006 nicht nur um ein Vielfaches galanter. Sie ist die einzige Partita, die mit einem »Preludio« eröffnet wird. Bach arbeitet dort mit raffinierten Echowirkungen. Und selbst anspruchsvolle Bariolage-Effekte (schnelle Saitenwechsel des Bogens) fordert er dem Solisten ab. Nach dem unbändigen Elan des »Preludio« lässt Bach mit dem französischen Tanz »Loure« etwas Ruhe einkehren. Nach einem graziösen Doppel-Menuett und einer vital-gelenkigen »Bourrée« klingt alles in einer schwungvollen »Gigue« aus.
Für ein Werk des Abends finden Violine und Orgel zueinander – dank der Bearbeitung der Sonate c-Moll BWV 1017, die ursprünglich für Violine und Cembalo entstanden ist. Zusammen mit fünf weiteren Sonaten markierte dieses Werk eine Wende in der Kammermusik: So legte das Cembalo seine bis dahin rein dienende Rolle ab und trat nun der Violine als gleichberechtigter Partner zur Seite.
Auch die abschließende Passacaglia c-Moll BWV 582 spiegelt Bachs intensive Beschäftigung mit der französischen Barockmusik wider. Ausgangspunkt dieses Prachtwerks ist das »Christe eleison«-Thema aus einer Messe des französischen Komponisten André Raison (1650–1719), der hierfür auf einen gregorianischen Choral zurückgegriffen hatte. Aus diesem achttaktigen Thema, das zunächst im Pedal vorgestellt wird, entwickelt Bach nun zwanzig Variationen, in denen die spirituelle Dimension mit allem harmonischen, melodischen und figurativen Reichtum ausgekleidet wird. In einem ständigen, spannungsvollen Wechsel zwischen Ein-, Zwei- und Dreistimmigkeit durchdenkt Bach das hübsche und vordergründige Thema Raisons – bevor sich nahtlos eine Doppelfuge anschließt, die nicht nur spieltechnisch, sondern auch intellektuell eine ganz besondere Herausforderung darstellt.
Text: Guido Fischer
Julian Emanuel Becker wurde 2005 in Hannover geboren und bereits mit sieben Jahren in die Vorklasse des Instituts zur Früh-Förderung musikalisch Hochbegabter an die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover aufgenommen. Der Organist und Pianist konzertiert solistisch im Rahmen vieler internationaler Festivals sowie als Solist mit Jugend- und Studierendenorchestern. Als Komponist schrieb er zudem Auftragswerke, die durch renommierte Solist:innen und Ensembles wie Jeroen Berwaerts, Salaputia Brass und den Mädchenchor Hannover uraufgeführt wurden.
Zur Zeit studiert Julian Emanuel Becker Orgel und Klavier an der Musikhochschule Leipzig. Impulse erhielt er durch Meisterkurse bei Igor Levit, Daniel Roth und Henry Fairs.
2019 gewann er den Internationalen Orgelwettbewerb Nordirland und 2020 den 1. Preis beim Grotrian-Steinweg Klavierwettbewerb. Er ist außerdem dreimaliger Bundespreisträger beim Wettbewerb »Jugend komponiert«. 2021 wurde er in die Förderung der Deutschen Stiftung Musikleben aufgenommen. Seine jüngsten Erfolge sind der 2. Preis und Publikumspreis beim International St Albans Orgelwettbewerb (UK) 2023 und der 1. Preis beim Internationalen Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb Leipzig 2024.
Jakow Pavlenko (geboren 2003 in Berlin) wurde von 2013 bis 2022 von Prof. Ina Kertscher am Instituts zur Früh-Förderung musikalisch Hochbegabter der Musikhochschule Hannover ausgebildet. Seit 2022 ist er Student in der Violinklasse von Prof. Antje Weithaas an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.
Beim Wettbewerb »Jugend musiziert« erspielte sich Jakow Pavlenko auf Bundesebene zahlreiche Preise. Weitere Auszeichnungen gewann er bei der Odessa International Violin Competition, beim internationalen Viktor Tretjakov Violin Competition in Krasnojarsk und bei der Stuttgart international Violin Competition.
Die Deutsche Stiftung Musikleben zeichnete ihn im Februar 2017 als jüngsten Preisträger des 25. Wettbewerbs des Deutschen Musikinstrumentenfonds aus. Seither stellt ihm die Stiftung ein Instrument leihweise zur Verfügung, derzeit eine Violine von Giuseppe Ornati, Mailand 1924.
In seiner jungen Karriere konzertierte Pavlenko bereits mit namenhaften Orchestern wie dem Göttinger Symphonieorchester, der Philharmonie Baden-Baden, dem Symphonieorchester Odessa oder der Hamburger Camerata und war zu Gast bei renommierten Festivals.
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Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Die Texte von Guido Fischer sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.