Residentie Orkest Den Haag
Cuarteto Casals
Vera Martínez Mehner Violine
Abel Tomàs Realp Violine
Christina Cordero Viola
Arnau Tomàs Realp Violoncello
Anja Bihlmaier Dirigentin
28.8.– 27.9. 2025
Residentie Orkest Den Haag
Cuarteto Casals
Vera Martínez Mehner Violine
Abel Tomàs Realp Violine
Christina Cordero Viola
Arnau Tomàs Realp Violoncello
Anja Bihlmaier Dirigentin
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Ouvertüre zu »Coriolan« c-Moll op. 62
Allegro con brio
John Adams (*1947)
»Absolute Jest« für Streichquartett und Orchester
Pause (ca. 25 Minuten)
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92
I. Poco sostenuto – Vivace
II. Allegretto
III. Presto
IV. Allegro con brio
Rhythmus ist die Grundlage von Musik und Tanz. Und vom Leben an sich. Es ist also eine sich über 200 Jahre spannende Lebensfeier, wenn Beethovens so rhythmusgeprägte Sinfonie Nr. 7 auf John Adams minimalistisches Orchesterstück »Absolute Jest« trifft. Doch wie das so ist im Leben, bloß mit Spaß und Feier funktioniert es eben nicht. Es gibt immer eine Kehrseite, die das Leben wie die Kunst erst plastisch werden lässt. Sei es ein Trauermarsch, der als Allegretto gleichzeitig wie ein Tanz oder eine Erlösung wirkt. Oder Musik, die durch minimale Abweichungen in der Stimmung der Instrumente eine Art Zwielicht erzeugt. Und während Beethovens Stück in einem rhythmischen Rausch endet, verschmelzen menschliche Empfindungen und künstlerischer Ausdruck zum Erlebnis zwischen Trip und Kontrolle, zwischen Rhythmus und Wahnsinn, zwischen Sturm und Präzision.
Mit harten Schlägen beginnt Beethovens »Coriolan«-Ouvertüre. Die Linie der Streichinstrumente reißt abrupt ab. Die Unterbrechung und damit eben auch das Gebrochene des musikalisch hier beschriebenen Charakters wird ganz unmittelbar durch die Musik spürbar. Beethoven setzt dabei nicht auf Wohlklang. Die Erschütterung dieser Brüche muss klar sein, muss zerreißen können.
»Er will etwas Radikales. Es geht nicht um den Schönklang, sondern um die Aussage«, sagt Dirigentin Anja Bihlmaier.
Die Aussage ist in der Ouvertüre, die Beethoven 1807 zum gleichnamigen Drama von Heinrich Joseph von Collin schrieb, sehr einfach zu fassen. Eine Schauspielouvertüre, die Charakter und Dramaturgie des nachfolgenden Dramas in Musik fasst. Sie macht das Ringen des Titelhelden Coriolan mit sich selbst hörbar, das Gegenüberstehen seiner weicheren und härteren Seiten.
Die Minimal Music im 20. Jahrhundert ist vom Rhythmus bestimmt und strukturell gesehen ein Vorläufer der populären elektronischen Tanzmusik. Unter den Vertreter:innen dieser Musikrichtung, die minimalistisch mit Wiederholungen einfacher Tonstrukturen arbeitet, ist John Adams einer der komplizierteren. Und sein Stück »Absolute Jest« sticht nicht nur innerhalb der modernen US-amerikanischen Musik heraus. Ein Orchesterstück mit einem Streichquartett als Solisten ist schon klanglich eine Herausforderung. Denn wie sollen sich vier Streichinstrumente von den großen Streicherklanggruppen des Orchesters abheben?
Adams wählt hier einen besonderen Weg: Er arbeitet mit freien Stimmungen. So sind etwa Klavier und Harfe des Orchesters minimal verstimmt. Wie, das ist in der Partitur mit genauen Hertzzahlen angeben, außerdem gibt es einen Download-Link zu sogenannten ›Tuner-Files‹, die dabei helfen. Dazu wird das Streichquartett leicht verstärkt, also durch Mikrofone abgenommen und über Lautsprecher zusätzlich zum Raumklang abgespielt. Es entsteht eine ganz eigenartige Atmosphäre, wie ein tonales Zwielicht.
John Adams wurde am 5. Februar 1947 in Worcester, Massachusetts geboren. Er gehört zu den bekanntesten Vertreter:innen der Minimal Music und dehnt deren Grenzen. John Adams sieht sich selbst seit den Neunzigerjahren als Post-Minimalist.
Die Musik wirkt wie ein Trip. Sie bleibt lange in der gleichen Tonart, läuft vor sich hin, nimmt mit, versetzt in eine Art Trance. Obwohl das Stück rhythmisch eigentlich sehr aufregend komponiert ist, sich immer wieder verschiebt. Von den Musiker:innen erfordert das eine immense Konzentration.
»Ich habe eine große Faszination und Leidenschaft für Beethovens Streichquartette.«
– John Adams
Die emotionalen Peaks holt sich John Adams dann bei Beethoven. Er zitiert für die Streichquartett-Solist:innen aus den späten Streichquartetten op. 131 und op. 135 sowie aus der »Großen Fuge«. John Adams selbst beschreibt das als »kleine Fragemente«, die er in ein »Spiegelkabinett« gestellt und daraus das »größte und manischste Scherzo« (Englisch »Jest«) geschaffen habe. 20 Minuten dauert das. Die Idee dazu hatte Adams während einer Aufführung von Strawinskys »Pulcinella«. Er war beeindruckt, wie Strawinsky in diesem Stück Barockkomponisten zitiert und trotzdem immer selbst als Komponist hörbar bleibt. Und da die Streichquartette Beethovens eine große Leidenschaft von ihm sind, entschied er, Beethoven durch die ›John-Adams-Machine‹ laufen zu lassen.
Bei Beethovens Sinfonie Nr. 7 handelt es sich um ›absolute‹ Musik: Ihr liegt kein bildliches Programm oder eine Geschichte zu Grunde. Eine Idee, was Beethoven mit der Musik wollte, braucht Anja Bihlmaier trotzdem, um sich der Interpretation zu nähern. Aber der Inhalt entwickelt sich ausschließlich aus der musikalischen Gestaltung heraus. Ob Beethoven betrunken gewesen sei, als er dieses Werk komponierte, fragte man sich zur Zeit der Uraufführung. Carl Maria von Weber urteilte gar: »Beethoven ist reif fürs Narrenhaus«, während Richard Wagner das Stück später eine »Apotheose des Tanzes« nannte. Als Liszt einmal bei Wagner zu Besuch war und ein Motiv aus Beethovens Siebter am Klavier spielte, habe der alte Wagner zu tanzen begonnen. Gustav Mahler sagte nach einer Aufführung, das Publikum sei wie betrunken aus dem Saal gekommen. Und Beethoven selbst hielt die Siebte für eines seiner besten Werke.
Wie passt das zusammen? Ein Stück, dessen zweiter Satz wie ein Trauermarsch anmutet – und dessen Finale so wild, ja beinahe perkussiv explodiert, dass es für die Streicher:innen beim Spiel zur physischen Belastungsprobe wird.
Beethovens Siebte ist ein Werk der Extreme. Komponiert in A-Dur, einer hellen Tonart, die dazu führt, dass die Streicher:innen viele offene (ungegriffene) Saiten spielen, was einen strahlenden Klang ergibt. Die Hörner sind in A und damit sehr hoch gestimmt, sie glänzen über dem ganzen Orchester. Die Höhepunkte sind sehr laut geschrieben, Beethoven verwendet hier zum allerersten Mal ein dreifaches Forte.
Der Fokus auf die Rhythmik ist etwas, das den Menschen ganz direkt anspricht. Etwas sehr urtümliches, das mit dem schlagenden Herzen als Lebensrhythmus korreliert. Wie gut vom Rhythmus getriebene Musik funktionieren kann, zeigt sich 200 Jahre nach Beethoven auch im Erfolg der elektronischen Tanzmusik oder im Hip-Hop. Viele Menschen heute empfinden eine große Kraft in solcher Musik, die oft ganz ohne Melodie auskommt. Ähnlich radikal und ähnlich mitnehmend dürfte Beethovens rhythmusgetriebene siebte Sinfonie auf das damalige Publikum gewirkt haben.
Die Grundmotive dieser Sinfonie sind nicht aus einer Melodie heraus entwickelt, sondern aus einem Rhythmus. Das erdet das Werk und macht es gleichzeitig zu einer enorm körperlichen Erfahrung. Beethoven verarbeitet, sequenziert, wiederholt und variiert in dieser Sinfonie rhythmische Motive bis zum Exzess.
Der erste Satz basiert auf einem punktierten Rhythmus, also der Folge lang-kurz. Dieses punktierte Motiv schält sich aus einer langsamen Einleitung nach und nach heraus. Die rhythmische Profilierung mithilfe der punktierten Noten findet im zweiten Satz einen ersten Höhepunkt. Er gehört zur berühmtesten Musik Beethovens überhaupt. Ein marschartiger Rhythmus in den Streichern, lang kurz kurz lang lang, getragen, »unerbittlich auf etwas zuschreitend«, wie Dirigentin Anja Bihlmaier es ausdrückt. Ein Trauermarsch, eine Prozession? Doch Beethoven hat als Tempoangabe kein langsames Adagio, sondern ein Allegretto notiert: ein mittelschnelles Tempo – es ist also leichtfüßiger gedacht als ein Trauermarsch.
Dieses rhythmische Grundthema bleibt über den gesamten Satz bestehen, bald in den Holzbläsern, und später dann in den gezupften Bässen und Celli. Darüber schichten sich neue Motive, Girlanden, ein Wechsel von a-Moll nach A-Dur, eine Aufhellung.
Der Satz endet wie er beginnt: Mit einem Bläserakkord in a-Moll. Der Dirigent Felix Weingartner beschrieb diesen Akkord wie einen Blick in einen Zauberspiegel. Dazwischen zeige sich eine ferne, geheimnisvolle Schattenwelt. Und mit einen Schlussblick in diesen Spiegel endet dieses Schattenspiel.
Der dritte Satz öffnet eine neue harmonische Sphäre in F-Dur. Tonartlich nicht sehr nah verwandt mit dem A-Dur. Der Satz wirkt wie ein Wettrennen, das in das obsessive, sich beinahe überschlagende Finale führt. Marschelemente tauchen hier auf, die vielleicht an einen Revolutionsmarsch erinnern. Doch die Musik ist mehr als nur politisch konnotiert.
»Alle Grenzen brechen auf. Trotzdem darf es kein Chaos geben«, sagt Anja Bihlmaier über diesen Finalsatz.
Es sei ihre Aufgabe, diese Leidenschaft, die in der Musik liegt, mit Präzision zu vereinen. Die Musik müsse immer weiter köcheln, sodass sie am Schluss verdampft – das müsse man als Dirigentin schaffen. Nur:
»Man darf sich nicht zu viel hingeben, sonst wird man selber verkocht.«
»Große Symphonie in A, eine meiner Vorzüglichsten.« Beethoven selber schätzte seine Sinfonie Nr. 7 also ganz gut ein. Das hat sich bewahrheitet. Die Siebte wurde zu Beethovens Lebzeiten eine seiner erfolgreichsten Sinfonien. Schon die Uraufführung war umjubelt, der zweite Satz musste sogar wiederholt werden.
Text: Rita Argauer
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Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Die Texte von Rita Argauer sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.