Sitkovetsky Trio
Alexander Sitkovetsky Violine
Isang Enders Violoncello
Qian Wu Klavier
28.8.– 27.9. 2025
Sitkovetsky Trio
Alexander Sitkovetsky Violine
Isang Enders Violoncello
Qian Wu Klavier
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Klaviertrio Es-Dur op. 70/2
I. Poco sostenuto – Allegro ma non troppo
II. Allegretto
III. Allegretto ma non troppo
IV. Finale. Allegro
Lena Sierova (*1983)
»Bucha« für Violine, Violoncello und Klavier
(Uraufführung, Kompositionsauftrag des Sitkovetsky Trio)
I. Adagio
II. Presto
III. Molto moderato
IV. Presto
V. A tempo, meno mosso
VI. Adagio
Pause (ca. 25 Minuten)
Ludwig van Beethoven
Klaviertrio B-Dur op. 97 »Erzherzogtrio«
I. Allegro moderato
II. Scherzo. Allegro
III. Andante cantabile
IV. Allegro moderato
Als Residenzensemble beim Beethovenfest erkundet das Sitkovetsky Trio neue Programm-Pfade. Die Gattung des Klaviertrios wurde vom Namenspatron des Festivals zur Blüte gebracht. Mit kraftvoller Farbigkeit ist Beethovens Trio in Es-Dur eines seiner liebenswertesten Kammermusikwerke, in dem ein zauberhafter Ländler bereits Franz Schubert vorwegnimmt.
Mit dem B-Dur-Trio, auch genannt »Erzherzogtrio«, erwies Beethoven seinem adligen Mäzen Rudolph von Österreich Reverenz. Die glanzvolle Energie sprengt die Dimensionen der Kammermusik: von der singenden Intensität des Andante cantabile, einer Oase der Ruhe, bis zum ekstatischen Finale. Gleich zwei Verlage in Wien und London kauften Beethoven sein neues Trio ab. Längst war er zu einer internationalen Größe geworden.
Politische Stellungnahme in der Kunst war Beethoven ein Anliegen. Das Sitkovetsky Trio betraute die junge ukrainische Komponistin Lena Sierova mit einem Auftragswerk. »Bucha« erinnert an die zivilen Opfer des von russischen Truppen verübten Massakers in der gleichnamigen Stadt.
Mit dunkler, wilder Sturmfrisur und grimmigem Blick sitzt Ludwig van Beethoven am Klavier. Von links schreit ihm sein Lehrer Antonio Salieri drohend ins Ohr, von rechts schauen ihn die Gräfin Marie Erdödy und die Pianistin Dorothea von Ertmann gespannt lächelnd an. Die Aquarell-Karikatur entstand zwar nicht zu Beethovens Lebzeiten – ihr mutmaßlicher Schöpfer, der österreichische Maler Adolf Fischer, wurde erst 1856 geboren. Und doch vermittelt es eine Vorstellung von der Wirkmächtigkeit Beethoven’scher Kammermusik.
Die ungarische Gräfin Erdödy war eine der treuesten Förderinnen des streitbaren Komponisten. Zum Dank widmete ihr Beethoven mehrere Werke, darunter die beiden Klaviertrios op. 70, die im Wiener Haus der Gräfin uraufgeführt wurden.
Während das erste, das sogenannte »Geistertrio«, wohlbekannt ist, steht das zweite und heute präsentierte Trio oft in dessen Schatten. Doch vielleicht fehlt ihm nur ein werbewirksamer Beiname. An der kompositorischen Qualität liegt es jedenfalls nicht.
Auf die junge Gattung des Klaviertrios kam Beethoven immer wieder zurück. Schon für sein Opus 1 wählte er diese Kombination aus Violine, Cello und Klavier, die sich erst durch Mozart als eigenständige Gattung aus der barocken Triosonate entwickelt hatte. Vor allem im privaten adligen Musizierkreis war das Klaviertrio beliebt. Beethoven reicherte seine Beiträge mit virtuosen Elementen in der Klavierstimme an, die er meist selbst spielte. Er entwickelte die Unabhängigkeit der beiden Streichinstrumente weiter: Alle Instrumente sollten gleichberechtigt sein. Zudem fügte er zur überkommenen Dreisätzigkeit ein Menuett oder Scherzo als vierten Satz dazu. So näherte er das Klaviertrio den gewichtigen Gattungen Sinfonie und Streichquartett an.
In spielerischer Verwandlung entsteht aus der gespannten Geste der langsamen Einleitung ein tänzerischer, schneller Satz. Heiter wiegt er sich in unkomplizierten Melodien. Erst zum Schluss taucht noch einmal die grüblerische Einleitung auf. Wie um den Bewegungsfluss nicht zu hemmen, verzichtet Beethoven in diesem Trio auf einen langsamen Abschnitt. Stattdessen schließt sich ein graziöser Satz voller Variationen an: Er springt zwischen eleganten Kratzfüßen und robustem Aufstampfen hin und her.
Über den dritten Satz äußerte sich der seinerzeit sehr berühmte Komponist Johann Friedrich Reichardt besonders lobend. Reichardt berichtete am Silvestertag 1808 von einem Hauskonzert bei Erdödys:
»Beethoven spielte ganz meisterhaft, ganz begeistert, neue Trios, die er kürzlich gemacht, worin ein so himmlischer kantabler Satz […] (im Dreivierteltakt und in Asdur) vorkam, wie ich von ihm noch nie gehört, und der das Lieblichste, Graziöseste ist, das ich je gehört; er hebt und schmilzt mir die Seele, so oft ich daran denke.«
Zum Schluss springt das Klavier mit auftrumpfender Geste in das rhythmisch pikante Finale. Immer wieder spornt es die Streichinstrumente mit brillanten Tonfolgen an und weist den Weg zwischen bizarren Einfällen, volkstümlichen Gassenhauern und konzertanter Großartigkeit.
Nach dem russischen Angriff entschied sich die junge ukrainische Komponistin Lena Sierova, in ihrem Heimatland zu bleiben. Unter schwierigsten Bedingungen organisiert sie mutig weiterhin das dortige Musikleben, verarbeitet in ihren Werken das Unfassbare. Auch für »Bucha«, ihr Auftragswerk des Sitkovetsky Trio, bleiben ihre Gedanken bei den Opfern. In der kleinen Stadt Bucha (Butscha) wurde zu Beginn des Kriegs 2022 eine Reihe von Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung verübt. Hunderte Menschen wurden von russischen Truppen gezielt hingerichtet, vergewaltigt, gefoltert. Ihr Stück sei, sagt Lena Sierova, »eine Art psychologische Reaktion von mir als Komponistin auf diese menschliche Tragödie. Was ich mit eigenen Augen sah, bestimmt den Charakter all meiner Werke aus dieser Zeit«.
Mit fragilen, statischen Klängen beginnt Sierovas Komposition: eine unwirkliche Starre, aus der sich nur langsam Bewegung entwickelt. Melodiesplitter und tastende Bewegungen führen in einen bewegten Mittelteil. Flüchtige Figuren kreisen um sich selbst, immer im Piano. Ein Klagegesang hebt an und verdichtet sich zum rastlosen, sehr lauten ›Fortissimo‹. Stockend und flüsternd zerfällt das melodische Geschehen, während das Klavier mit einem Rhythmus »wie ein Herzschlag« begleitet, versiegt und schließlich leise weiter pulsiert.
»Diese Musik soll eine Erinnerung daran sein, dass Krieg das Schrecklichste ist, was einem Menschen, ja der ganzen Menschheit passieren kann.«
– Lena Sierova
Nachdem sich Beethoven mit seiner Gönnerin Marie Erdödy wieder einmal überworfen hatte, überlegte er kurzzeitig, die in ihrem Haus so erfolgreich uraufgeführten Trios op. 70 einem anderen Mäzen zu widmen: dem Erzherzog Rudolph von Österreich, Bruder des Kaisers. Dazu kam es jedoch nicht. Dennoch wurde Beethovens hochadliger Klavierschüler Widmungsträger mehrerer bedeutender Werke. Darunter war schließlich auch das Klaviertrio B-Dur op. 97, das sogenannte »Erzherzogtrio«.
Der junge Habsburger Rudolph war ein sehr guter Pianist und außerdem kein Freund von oberflächlicher Unterhaltungsmusik. Die ihm zugeeigneten Werke wie das vierte und fünfte Klavierkonzert, die »Hammerklaviersonate« und die »Große Fuge« bezeugen die höchsten Ansprüche seiner Leidenschaft für die Kunst.
»Seiner Kaiserl: Hoheit dem durchlauchtigsten Prinzen« widmete Beethoven also das wohl anspruchsvollste seiner Klaviertrios. Mit der Uraufführung im Wiener Hotel »Zum römischen Kaiser« im Jahr 1814 nahm er als Pianist Abschied von der Konzertbühne. Sein zunehmender Gehörverlust machte öffentliche Auftritte nunmehr unmöglich. Ein Augenzeuge, der Komponist Louis Spohr, erinnerte sich:
»Im Forte schlug der arme Taube so darauf, daß die Saiten klirrten, und im Piano spielte er wieder so zart, daß ganze Tongruppen ausblieben.«
Als wollte das Werk seinen majestätischen Gönner preisen, prunkt das »Erzherzogtrio« mit satten, eindrucksvollen Dimensionen. Das Klavier allein leitet mit noblen Akkorden ein. Zwei weitere Themen werden von ihm vorgestellt, wobei die Streichinstrumente spielerisch in das Geschehen einbezogen werden: am originellsten in jener Passage der Durchführung, wo sich Violine und Cello launig zupfend die Bälle zuwerfen.
Das ausgedehnte Scherzo stellt ein scheinbar anspruchsloses Thema vor: nämlich eine auf- und absteigende Tonleiter. So unscheinbar das Material, so kunstvoll die Ausarbeitung in vielfältigsten Schattierungen. Der Mittelteil des Satzes beginnt mit dramatischen Nebelschwaden in Moll, um desto launiger in einen übermütigen Walzer umzuschlagen.
In den vier Variationen des Andante wird das abgeklärte Thema in gesteigerte Bewegungen aufgelöst, verliert sich in entrückten harmonischen Sphären, träumerischen Gesängen und bleibt unaufgelöst in der Schwebe. Umso heftiger setzt das Finale ein: mit einem plötzlichen Akkord, so als würde die Tür zum Paradies mit lautem Knall geschlossen. Ein eigensinnig schlenderndes Thema hüpft in tänzerischen Bocksprüngen. Das Klavier befeuert mit virtuosen Figuren und Trillern, und schließlich spielen sich alle Instrumente in einen abschließenden Rausch.
»Ein solch unscheinbares Ding, das so leicht aussieht, sich so gemüthlich anhört, so unschuldig sein kleines Pflanzenleben durchtändelt – trägt den Stämpel der Vollendung in sich, und kann nur aus der Feder eines gelehrten Theoretikers fliessen.«
– Ein anonymer Rezensent in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung 1817 über den dritten Satz des »Erzherzogtrios«
Text: Kerstin Schüssler-Bach
Kerstin Schüssler-Bach: Sie haben beim Beethovenfest 2023 bereits Beethovens »Geistertrio« op. 70/1 gespielt. Was verbindet Sie mit dem Schwesterwerk op. 70/2?
Isang Enders: Es ist tatsächlich das erste Werk, das wir zusammen als Sitkovetsky Trio gespielt haben! Das war vor acht Jahren, wir haben es auch aufgenommen. Unsere Einspielung aller Beethoven-Klaviertrios wird übrigens pünktlich zum Beethovenfest fertig. Während das »Geistertrio« extrem kompakt ist, halte ich das Es-Dur-Trio für das zugänglichere, weichere Stück. Ich finde es aber überhaupt nicht leichtgewichtig. Das unterstellt man ihm vielleicht, weil es keinen dieser erhabenen langsamen Sätze hat. Ganz klar ist dieses Werk ein Vorbild für Schubert gewesen.
KSB: Meinen Sie den Ländler?
IE: Nicht nur. Es gibt auch so eine flirrende Stelle, die Schubert in seinem Es-Dur-Trio direkt zitiert hat. Das haben wir beim letzten Beethovenfest gespielt, so ergibt sich ein schöner Bogen.
KSB: Wie ist dann die Entwicklung zum »Erzherzogtrio«?
IE: Die Trios op. 70 bilden die mittlere Schaffensphase Beethovens ab. Und am Ende dieser Kammermusik-Gattung steht das »Erzherzogtrio« op. 97 wie ein großes sinfonisches Werk. Es ist sozusagen das Einfallstor zum Spätwerk: sinfonisch in der Form, aber wie eine konzentrierte Exzellenzstudie. Hier muss Beethoven keine radikale Sprache sprechen, um seine Botschaft rüberzubringen. Das »Erzherzogtrio« ist extrem elegant, romantisch gesanglich, groß auch in der Ästhetik.
KSB: Was sind Ihre ›Magic Moments‹ im »Erzherzogtrio«?
IE: Vielleicht der Anfang vom zweiten Satz. Die technischen Mittel sind ausgespart, das Material ist gar nicht so ungewöhnlich. Aber was Beethoven daraus macht …! Er spielt mit einem Seitenthema in Halbtönen als Kontrast zur Tonleiterlinie, setzt es auf einen verrückten Rhythmus – das ist Musik, die vollständig wie betrunken wirkt. Und dann diese transzendente Stelle im langsamen Satz. Auch die hat Schubert verinnerlicht. Es ist wohl kein Zufall, dass er in den wenigen Monaten, die er Beethoven überlebt hat, selbst zwei Klaviertrios geschrieben hat.
KSB: Und wie kam es zum Auftrag an Lena Sierova?
IE: Wir haben nach der Corona-Pandemie großartige Unterstützung vom Förderprogramm Neustart Kultur bekommen. Damit haben wir Aufträge an drei Komponistinnen vergeben: die Finnin Lotta Wennäkoski, die in London lebende Exil-Iranerin Mahdis Golzar Kashani und Lena Sierova. Wir haben intensiv recherchiert, um eine junge ukrainische Komponistin zu finden. Lena fiel uns auf, weil sie sich auch kulturpolitisch engagiert.
KSB: Wie war die Zusammenarbeit?
IE: Wir haben uns bisher nur per Mail ausgetauscht. Lena ist nach Ausbruch des Kriegs bewusst in der Ukraine geblieben und daher ist die Kommunikation nicht immer lückenlos möglich. Hoffentlich kann sie nun bei der Uraufführung persönlich dabei sein.
KSB: Was erwartet das Publikum bei Lena Sierovas Stück?
IE: Sie hat dieses Werk als Reflexion auf die furchtbaren Massaker an zivilen Frauen, Männern und Kindern in Butscha geschrieben. Es ist eine sehr introvertierte Musik, die uns zum Innehalten bringen wird.
Das Sitkovetsky Trio hat sich als ein außergewöhnliches Klaviertrio der Gegenwart etabliert. Seine durchdachte und engagierte Herangehensweise hat dem Ensemble Kritikerlob, zahlreiche Preise und Einladungen in renommierte Konzertsäle auf der ganzen Welt eingebracht, darunter das Amsterdamer Concertgebouw, die Wigmore Hall und die Elbphilharmonie Hamburg. Zu den Höhepunkten der Saison 2023/24 gehörten Aufführungen von Ludwig van Beethovens »Tripelkonzert« mit dem Staatstheater Darmstadt und den Münchner Symphonikern.
2014 veröffentlichte das Sitkovetsky Trio seine erste Einspielung bei BIS Records mit Werken von Smetana, Suk und Dvořák und erntete viel Lob von der Presse. Dies führte zu weiteren Veröffentlichungen von Werken von Brahms und Schubert. Derzeit arbeitet das Sitkovetsky Trio am Zyklus aller Triowerke von Ludwig van Beethoven. Das Volume 1 erhielt bereits den Diapason d’Or ARTE. Der Zyklus wird im Sommer 2023 und 2024 fortgesetzt, zeitgleich mit seiner Residenz beim Beethovenfest Bonn.
Lena Sierova wurde 1983 in Kiew geboren. Sie machte 2007 ihren Abschluss an der Nationalen Musikakademie der Ukraine Peter Tschaikowski und studierte Komposition bei Hanna Havrylets.
Seit 2012 ist sie außerordentliche Professorin an der Abteilung für klassischen und Pop-Gesang sowie Tontechnik der Nationalen Akademie für Kultur und Kunstmanagement (Kiew). Seit 2011 ist sie Mitglied des Komponistenverbands der Ukraine, Preisträgerin des L. M. Revutsky-Preises (2013), Doktorin der Kunstkritik (2015) und Leiterin des 14. Internationalen Jugendmusikforums (2016).
Seit 2023 ist sie Leiterin der Abteilung für Musikproduktion an der Nationalen Akademie für Kultur und Kunstmanagement in Kiew.
Lena Sierova ist aktiv als Komponistin tätig. Sie hat zahlreiche Auftritte in der Ukraine und im Ausland. Ihre Musik wurde in den Konzertsälen der Ukraine, der USA, Frankreichs, der Schweiz, Polens, Österreichs, Englands, Chiles und Japans aufgeführt. Sie nimmt regelmäßig an ukrainischen Festivals für Neue Musik und an Projekten für zeitgenössische Musik teil.
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 10–23 Uhr) oder per E-Mail (achtsamkeit@beethovenfest.de).
Werte und Überzeugungen unseres Miteinander sowie weitere externe Kontaktmöglichkeiten können hier auf unserer Website aufgerufen werden.
Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Die Texte von Kerstin Schüssler-Bach sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.