Eine mittelalterliche Melodie von Hildegard von Bingen. Moderne freie Improvisationen. Eine nach unten oktavierte Flöten-Sonate von C.P.E. Bach. Meditative Drones und Ambient-Klänge. Wer das kurz hintereinander hört, befindet sich entweder in einer völlig verrückt gewordenen Zeitmaschine mit Schluckauf. Oder in einem Konzert von Maxine Troglauer. Klassik, Jazz, zeitgenössische Musik – für die 1995 in Wiesbaden geborene Bassposaunistin sind das keine penibel voneinander abzutrennenden Bereiche. Sondern organisch miteinander verbundene Resonanzräume, die ihr als Heutige die Möglichkeit zu einem selbstbewussten Dialog mit der Vergangenheit geben. Und das auf einem Instrument, dessen unauffällige Rolle als tiefe Stimme im Hinter- und Untergrund eigentlich streng festgelegt zu sein scheint: der Bassposaune.
Aber auch hier gilt: Maxine Troglauer denkt nicht in Klischees, sondern erkennt Chancen. So war es schon, als sie sich als Sechsjährige zielgerichtet für die Posaune entschied, weil sie nichts spielen wollte, was andere Mädchen typischerweise spielen. Als sie dann mit 13 von der Tenor- zu Bassposaune wechselte, habe das in ihrem Inneren regelrecht ein Fenster aufgestoßen, sagt die Wahl-Berlinerin. Die Bassposaune wurde zum Sprachrohr ihrer musikalischen Vision, die sich durch vorurteilslose Neugier, Wagemut und Begeisterungsfähigkeit auszeichnet.
Und so gelang es Troglauer, ihr Instrument im Lauf der Jahre immer mehr in ein Füllhorn ungeahnter Möglichkeiten zu verwandeln. Es ist ihr erklärtes Ziel, die Bassposaune aus ihrer Nische zu befreien und ihr zu einem eigenen Repertoire zu verhelfen. Dafür haben ihr Komponisten wie Daniel Schnyder oder Jonas Schoen-Philbert Solo-Stücke geschrieben, die alles (und noch mehr) aus der Bassposaune herausholen; von der durch Albert Mangelsdorff berühmt gewordenen Multiphonics-Technik, bei der man gleichzeitig spielt und singt, über virtuose Klangerkundungen bis hin zum rhythmisierten Beklopfen des Zuges mit selbstgebauten Perkussionsinstrumenten. Nichts ist unmöglich, wenn Maxine Troglauer Bassposaune spielt.
Dass die Musikerin keine Berührungsängste mit den verschiedenen Sparten kennt, liegt an ihrer hervorragenden Ausbildung und ihrem ungemein breiten Erfahrungsschatz. So ist die Bassposaunistin eine der ganz wenigen, die Mitglied in den beiden bedeutendsten Nachwuchs-Spitzenensembles Deutschlands war – sie gehörte sowohl dem Bundesjugendorchester (BJO) als auch dem Bundesjazzorchester (BuJazzO) an. Die sich daraus ergebende Zusammenarbeit mit prominenten Freigeistern wie Sir Simon Rattle oder Django Bates sowie die vertiefenden Studien bei Improvisationsmeisterinnen wie der kanadischen Trompeterin Ingrid Jensen taten ihr Übriges, um Troglauers Offenheit für musikalisch nachhaltige Herausforderungen jenseits von Stil-Beschränkungen zu nähren.
Das Portfolio der Musikerin, die 2021 ihren Master in New York an der Manhattan School of Music mit Schwerpunkt zeitgenössische Musik bei der Bassposaunen-Institution Dave Taylor machte, ist dementsprechend prall gefüllt: So umfasst es u. a. Produktionen für den BR, den NDR (Live-Radiokonzert in der renommierten Reihe »Kultur à la carte«), die Deutsche Oper Berlin und das legendäre Jazz-Label ECM, Ensembletätigkeiten für das feministische Musical »Hyäne Fischer« an der Berliner Volksbühne oder die TikTok-Oper »OK Tannhäuser« des PODIUM Festival Esslingen, Auftritte mit dem Ed Partyka Jazz Orchestra oder der NDR Bigband sowie diverse Solokonzerte mit Orchester.
Hinzu kommt eine große Zahl an Auszeichnungen. Als Stipendiatin des Deutschen Musikwettbewerbs gründete Troglauer 2017 das mit Neuer Musik experimentierende Fusion Duo und trat damit an der Seite der Schlagwerkerin Vanessa Porter deutschlandweit auf. 2022 wurde sie für das Finale des Young Classical Artists Trust (YCAT) in der Londoner Wigmore Hall aus 150 internationalen Bewerberinnen und Bewerbern ausgewählt, Ende des Jahres erhielt sie den zum ersten Mal im Posaunenfach vergebenen Sonderpreis der Oscar und Vera Ritter-Stiftung für ihre besonders herausragenden Leistungen als Interpretin.
Bei der unglaublichen Vielfalt der Projekte, der die Musikerin ihre ganz spezielle Stimme leiht, ist es jedoch das ganz Einfache, Grundsätzliche, was sie am meisten beschäftigt und fasziniert: »Musik ist für mich am ehesten dieser eine Ton«, erklärt Maxine Troglauer, »der Klang einer Posaune, vibratolos, perfekt intoniert, selbst gespielt – das ist eines der schönsten Erlebnisse, das man überhaupt haben kann.« Josef Engels (WELT, Jazz thing, Rondo)