MEUTE
Giorgi Gigashvili Klavier
Streichquartett des Ensemble Resonanz
Luisa Neubauer Sprecherin
Kammerakademie Potsdam
Elim Chan Dirigentin
28.8.– 27.9. 2025
MEUTE
Giorgi Gigashvili Klavier
Streichquartett des Ensemble Resonanz
Luisa Neubauer Sprecherin
Kammerakademie Potsdam
Elim Chan Dirigentin
MEUTE: unplugged
Begrüßung
Katja Dörner, Oberbürgermeisterin Bonn
Nathanael Liminski, Chef der Staatskanzlei NRW
Steven Walter, Intendant Beethovenfest
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
15 Variationen mit Finale alla Fuga Es-Dur op. 35 »Eroica-Variationen«
Pause
Luisa Neubauer
»Rede in Es-Dur« mit Ludwig van Beethovens »Cavatina« aus dem Streichquartett Nr. 13 op. 130
(Dramaturgie & Bearbeitung: Tobias Rempe)
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
I. Allegro con brio
II. Andante con moto
III. Scherzo. Allegro
IV. Allegro
Das Eröffnungskonzert des Beethovenfests Bonn 2024 enthält selbst eine Eröffnung. Auch hier geht es, wie in Beethovens Klaviervariationen, sozusagen um einen Anfang vor dem Anfang: Vor den Ansprachen wird die elfköpfige Hamburger Techno-Marching-Band MEUTE, die Techno-, House- und Deep-House-Werke von bekannten DJs neu arrangiert und die elektronischen Beats mit den Instrumenten einer Blaskapelle umsetzt, vom Foyer aus den Saal und die Bühne ›stürmen‹. Lassen Sie sich überraschen!
»Miteinander« ist das Motto des diesjährigen Beethovenfests Bonn. Gleich das traditionelle Eröffnungskonzert stellt sich in zweierlei Hinsicht diesem inklusiven Anspruch: Es findet zeitgleich, aber in umgekehrter Reihenfolge, in der Oper und auf dem Münsterplatz statt – dort als Open Air bei freiem Eintritt.
Für die Idee des – in unseren Tagen unübersehbar gefährdeten – humanen »Miteinander« steht in der musikalischen Tradition Beethoven wie kaum ein anderer Komponist. Auch diesem Gesichtspunkt trägt das Programm des Abends Rechnung: Die Hamburger Techno-Marching-Band MEUTE öffnet den Bezirk der klassischen Musik in die Breite unserer Lebenswelt; die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer reflektiert zu den Klängen von Beethovens Quartett-»Cavatina« über den Zustand unserer Welt, und am Schluss steht mit der fünften Sinfonie ein bewegender Einspruch gegen den schlechten Lauf der Welt, ein Bekenntnis zum Willen und zur Kraft der Überwindung.
Als Beethoven seine Variationenzyklen op. 34 und 35 dem Verlag Breitkopf & Härtel zur Veröffentlichung anbot, versprach er, diese seien in »einer wirklich ganz neuen Manier« geschrieben. In der Tat: Hier kündigt sich nicht weniger als eine Revolution der gewohnten Gattungsmerkmale der Variationenfolge, ja des Komponierens überhaupt an. Dabei ist das heute Abend gespielte zweite der seinerzeit angebotenen Werke ungleich berühmter als das erste. Bereits der Beiname »Eroica-Variationen« bezeichnet den Grund dafür: Das variierte Thema wurde das Hauptthema im Finale der etwas später entstandenen »Eroica«-Sinfonie.
Beethoven hatte die Melodie allerdings schon in einem Contretanz und im Finale seiner Ballettmusik »Die Geschöpfe des Prometheus« verwendet. Opus 35 ordnet sich somit ein in die Linie der kontinuierlichen Befassung mit einer Lieblingsmelodie, die Beethoven erst nach der »Eroica« losließ. Die Themenfelder Prometheus und Napoleon (dem die dritte Sinfonie ursprünglich gewidmet werden sollte) eröffnen die Deutungsmöglichkeit, dass Beethoven die Idee des Heldentums auskomponieren wollte – man sollte sie mit Blick auf die Klaviervariationen aber nicht überstrapazieren.
Ludwig van Beethoven wurde im Dezember 1770 in Bonn als Sohn eines Sängers der kurfürstlichen Hofkapelle geboren. 1792 siedelte er nach Wien über, um als Schüler von Joseph Haydn seine Musikausbildung zu vollenden. Als freischaffender Pianist und Komponist lebte und wirkte er dann bis zu seinem Lebensende 1827 in der Donaumetropole. Beethoven ist, nach Haydn und Mozart, der dritte große Vertreter der später dann so genannten Wiener Klassik. Von seinen Kollegen unterscheidet er sich dadurch, dass er am nachdrücklichsten in seiner Musik die Ideen der Aufklärung und der bürgerlichen Revolution umsetzte.
Wichtiger für die Interpretation ist etwas anderes, das mit der erwähnten »neuen Manier« zu tun hat. Beethoven beginnt nicht mit dem bekannten schönen, lyrisch ausschwingenden Thema, sondern – wie im Finale der Sinfonie – mit dessen Bass. Dem fügen sich in den ersten Variationen sukzessiv neue unabhängige Stimmen hinzu, ehe dann tatsächlich das Thema in der ganzen Fülle seines Wohllauts erklingt. Nicht nur schließen sich so die ersten Variationen zu einem einzigen großen Einleitungskomplex zusammen. Vielmehr führt die Musik ihre eigene Entstehung vor: Sie ist nicht von Anfang an ›da‹, sondern ›wird‹.
Daraus ergibt sich eine ungewohnt dynamische Form: Die Variationenfolge ist keine einfache Reihung mehr, sondern ein radikaler Prozess. Beethoven nähert damit den Variationenzyklus an die Sonatenform an. Dass hier etwas grundsätzlich umgestellt wird, zeigt auch der Werkschluss: Nach dem zweiten Teil, der am ehesten dem überlieferten Schema »Thema und Variationen« entspricht, folgt ab den Variationen 14 und 15 (in Moll) eine dritte Sektion, die überraschend in eine virtuose Fuge mündet. Diese schlägt ihrerseits mit besagten Bassthema den Bogen zum Beginn zurück. Auf diese Weise erschafft Beethoven das neue Modell »Variationen und Fuge« – und stiftet seinerseits eine Tradition: Erwähnt seien nur die einschlägigen Werke von Brahms und Reger.
»›Heroisch‹ bedeutet ›heldisch‹. Aber Helden sind das Problem in der klassischen Musik heute. Alle versuchen, ernsthaft rüberzukommen, und ich finde, das ist schade. Durch zu viel Ernsthaftigkeit verliere ich als Künstler den Kontakt zum Publikum – die Leute nehmen dich nicht als einen Freund wahr, sondern bewundern dich einfach nur. Ich denke, dass Musiker und Publikum auf einer Wellenlänge sein müssen, Heroismen brauchen wir nicht. Das spricht für mich auch aus der Musik selbst: Wenigstens zehn von Beethovens Variationen machen einfach Spaß, und dieser Spaß muss beim Publikum ankommen.«
– Giorgi Gigashvili
»Nie hat meine eigene Musik einen solchen Eindruck auf mich hervorgebracht. Selbst das Zurückempfinden dieses Stückes kostet mich immer eine Träne.« Auch die heutigen Hörer:innen der »Cavatina« aus Beethovens spätem Streichquartett op. 130 werden, wenn es mit rechten Dingen zugeht, diese Tränen ihres Schöpfers nachvollziehen können. Im Wesentlichen getragen von der ersten Violine, entfaltet sich hier ein inniger gebetartiger Gesang, der sich über Pausen und Zäsuren hinwegspannt und kaum an ein Ende kommt. Etwas, das sich jenseits der Musik befindet, scheint hier – beredt, aber unaussprechlich – mitgeteilt zu werden. Eine Spur vermag nur der unruhige rezitativische Mittelteil zu legen, dem Beethoven als Vortragsanweisung ein »Beklemmt« mitgibt. Dieser Mittelteil verstummt indes vor der variierten Wiederkehr des Beginns. Das Gebet ›besiegt‹ die Anfechtung, ohne sie ganz vergessen machen zu können.
Durch Luisa Neubauers über den Vortrag der Cavatina gesprochene »Rede in Es-Dur« wird der Quartettsatz zum Melodram – Sprache und Musik verbinden sich auf einer neuen Ebene, die eine eigene Bedeutung transportiert. Ausgangspunkt dieser Rede-Dramaturgie ist die Tatsache, dass just die Cavatina auch auf einer kleinen goldenen Platte zu finden ist, die mit der Raumsonde Voyager seit 1977 im Weltall unterwegs ist. Was ist der Sound unserer kleinen bedrohten Welt in der unendlichen Weite des Kosmos? Neubauer reflektiert zu Beethovens Musik über Vernunft und Zerstörung, Verzweiflung und Hoffnung – und über die Demokratie (und unser Grundgesetz) in Zeiten ihrer Gefährdung.
Die Es-Dur-»Cavatina« ist der fünfte Satz des sechsteiligen Streichquartetts B-Dur op. 130, des zweiten der fünf späten Beethoven-Quartette. Zwischen Mai und Dezember 1825 geschrieben, wurde es (genauer: seine erste Fassung) vom Wiener Schuppanzigh-Quartett am 21. März 1826 zur Uraufführung gebracht.
Es war 1977 und sie hießen Carl, Philipp, Frank, Robert und Arthur. Insgesamt waren es zehn Männer und ihr Auftrag war es, das Universum zu beeindrucken. Sie saßen im Labor der NASA. Von dort sollten zwei Sonden in den Weltraum geschossen werden, weiter hinaus als jemals zuvor. Auf diesen Sonden sollte eine Nachricht stehen von der Erde an das Universum, eingebrannt auf eine vergoldete Platte, die »Voyager Golden Record«.
Was ist die Welt, wenn man sie auf einer einzigen Platte zusammenfassen muss? Wie hört sich die Welt an, wenn man den Sound von Millionen Jahren auf 90 Minuten herunterbricht? Was ist die Botschaft der Welt, auf wenige Sätze gekürzt? Was würden Sie auf diese Platte laden?
Carl und seine Freunde wollten, dass es gut klingt. Wer die Platte entschlüsselt, würde Grußbotschaften auf 55 Sprachen hören. Auf Deutsch: »Herzliche Grüße an alle«. Man würde Jazz von Louis Armstrong, Vögel zwitschern und Donner grollen hören, Peruanische Volkslieder und Gesang der Aborigines. Und dort, irgendwo im Universum, ganz am Ende der 90-minütigen Tonaufnahme würde man auch das hier hören: Die »Cavatina« von Beethoven, in Es-Dur.
Es ist das 13. Streichquartett. Man sagt, Beethoven habe es unter Tränen komponiert. Die NASA wollte dem Weltraum die Klänge eines Mannes zeigen, der vor 200 Jahren um jeden Ton gerungen hat. Der in gewisser Weise die Aufklärung vertont hat. Wer die »Cavatina« hört, der hört auch die anderen: Lessing und Kant und Newton und Voltaire, die befreien wollten vom blinden Glauben. Man hört ihnen zu, wie sie die Türen geradezu aufgerissen haben, zur freien Kunst, zum freien Denken, zum freien Sprechen. Lessing nannte es: »Durch eigenes Nachdenken auf Wahrheit zu kommen«.
Auf der Platte sind auch 116 gespeicherte Bilder des Planeten Erde. Man sieht das Bild einer Geburt, eine Baumwollernte, einen Hausbau. Man sieht ein Klassenzimmer, die Oper in Sydney. Man sieht ein startendes Flugzeug, eine vollbefahrene Autobahn, und schließlich den Start einer NASA-Rakete. Es sollte ein Bild gezeichnet werden, von einer Welt, die sich ihres eigenen Verstandes bedient. Man wollte einen Planeten präsentieren, der immer klüger geworden ist – so klug, dass er selbst dem Universum von der eigenen Brillanz berichten kann. »Liebes Universum« sagt die Voyager, »wir kommen in Frieden und Freundschaft. Schaut, auf alles in der Welt«. Als die NASA den akustischen Reichtum Beethovens in die Galaxie schickte, da wollte man eine Geschichte erzählen. Von einer Welt, die das blinde Hoffen ersetzt hatte durch das universelle Versprechen von Fortschritt und Wachstum.
Von westlicher Überheblichkeit war keine Rede, nein, wir sind doch die Welt. Selbst die Zerstörung, die Ausbeutung, der Kolonialismus konnten im Sinne der Aufklärung und des Fortschritts erklärt werden. Schaut her, die Natur, wie reich die Welt, wie viel Raubbau passt wohl auf einen einzelnen Planeten? Los geht’s! Hinein in die Freiheit der Freiheiten.
Anfang 2023 stellte eine Gruppe von Nuklearforscher:innen, die die Gefährdung der Menschheit bemisst, die Endzeit-Uhr auf 90 Sekunden vor 12. Klimaforscher:innen sprechen davon, dass die Stabilität der Erdensysteme erstmals seit Menschheitsbeginn vollständig zu kollabieren droht. Nach Jahrhunderten andauernden Kampfs für die Menschlichkeit ziehen die Faschist:innen wieder los, auf die Straßen und in die Parlamente. Nach Jahrhunderten der breitbeinigen Reden vom Weltbürgertum grassiert der Rassismus, werden Menschen in unsichere Heimaten abgeschoben.
Alle sind gleich, aber manche sind gleicher?
250 Jahre nachdem die Ringparabel von Nathan dem Weisen die Gleichheit der Religionen beschwur, werden Jüdinnen und Juden in Israel bombardiert und auf deutschen Straßen beschimpft, werden Palästinenser:innen ermordet und Muslime auf deutschen Straßen bespuckt.
Man bewarb auf der Voyager 1 den Frieden der Völker und findet in 2024 eine Welt vor, in der der Krieg wieder Einzug in Europa hält. Lessing kämpfte für die Freiheit des Wortes, 250 Jahre später werden Bücher aus Bibliotheken verbannt, werden Klimaaktivist:innen in Deutschland verhaftet. Und da geht es wieder von vorne los, natürlich sind es auch die Faschist:innen, die mit Macht als Erstes den Frauen und dann der Ökologie die Rechte rauben, Überraschung: Klimaschutz gib es niemals von Rechts, Klimaschutz gibt es nur gegen Rechts.
Nun ist nicht alles schlecht, könnte man sagen und überhaupt, wie weit sind wir denn bitte gekommen? Was wurde nicht alles Fantastisches erreicht, wie viel wurde erstritten und erkämpft? Die Rechte für Frauen, der Kampf gegen Aids, die Befreiung der Sklaven, die Unabhängigkeit der Kolonien. Die Medizin! Das Internet! Kinder seid doch mal dankbar! Guckt doch hin! Luisa, wie hart wurde sich ins Zeug gelegt, damit du als junge Frau hier auf einer Bühne sagen kannst, was du willst. In aller Öffentlichkeit!
Und vielleicht ist genau das Problem. Wohin hat uns der Geist der Aufklärung, des wachsenden Wissens, der Supertechnologien und großen Träume gebracht? In eine Zeit, die weiß, dass sie alles sein könnte. In eine Zeit, die besser als jede andere weiß, wie hart Gleichheit und Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit erkämpft werden müssen, eben weil man weiß: Es ist möglich.
Und jetzt? Wo die Welt umfassend eingenommen ist? Jetzt nehmen wir die Zukunft ein, verschulden uns immer weiter in die Jahrhunderte hinein, verursachen Müll und Verseuchung und Klimakatastrophen für Generationen nach Generationen. Wir haben zu allem Überfluss angefangen, die Zukunft zu kolonialisieren, ohne dass sie etwas davon weiß. Denn gerade, weil es den Zufall nicht gibt, weil nichts im Universum einfach nur ist, steht die Aufklärung heute wie die große Verräterin im Raum.
Es stellt sich heraus: Die mächtigste Gruppe sind überhaupt nicht die Menschen, die sich ihres eigenen Verstandes bedienen, nein: Die mächtigste Gruppe sind, Stand heute, die Gleichgültigen, so sagt es Rafik Schami – sie sind es, die die größten Umbrüche zulassen.
Wissen ist Macht, sagten die Aufklärer. Wissen ist Ohnmacht, sagt die Welt uns heute.
Was bleibt uns noch?
Was ist diese Welt der Gegenwart: Es ist eine Welt, die ihre eigenen Hoffnungsquellen ausgetrocknet hat. Einst versprach man, dass es nicht der Glaube sein würde, der uns rettet, sondern unser angewandtes Wissen. Jetzt hat das Wissen so offensichtlich nicht gereicht. Es wurde eine Welt geschaffen, die für einige ein zu Hause und für viel zu viele eine Gefahr ist. Aber was, wenn noch das klarste Denken, die klügsten Ideen, das beste Wissen, was Menschen jemals besessen haben, uns nicht retten?
Was denn dann?
Es ist eine Welt, der man versprochen hatte, dass uns die Maschinen retten würden, glaube nicht an Gott, glaube an Elon Musk? Und was ist daraus geworden? Fortschritt, der immer unbezahlbarer ist, Technologien, die immer gefährlicher werden, Maschinen, die mehr kaputt machen, als dass sie retten. Aber was, wenn noch die neueste Technik, die klügste Erfindung, die beste Maschine, die Menschen jemals besessen haben, uns nicht retten?
Was denn dann?
Und selbst, wer nicht an Wissen oder Technologien, sondern an Fortschritt und das Versprechen von Wohlstand für alle geglaubt hat, der steht jetzt vor Märchenschlössern. Niemals wurden die Rechnungen zu Ende gerechnet, niemals war man ehrlich, wie viele Planeten geplündert werden müssten, um diese Versprechen von Wohlstand und Fortschritt zu verwirklichen.
Wie konnten die Menschen es wagen, jahrhundertelang jede Quelle der Hoffnung und des Glaubens abzuschaffen und hinauszuwerfen, ohne sich eine Sekunde darüber Gedanken zu machen, wo die neue Hoffnung herkommt? Was bleibt uns außer leere Hoffnungsmärchen, die kollabieren wie Kartenhäuser?
Drei Jahrhunderte nach der Aufklärung stehen wir wieder vor der Glaubensfrage. Nicht weil es zu viel zu glauben gibt, sondern weil da scheinbar nichts mehr ist, an das man noch glauben kann. Nichts mehr, auf das man noch hoffen mag. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man, und vielleicht ist das die größte Lüge diesseits des Universums.
Guckt man sich um, sieht man Menschen, die auf der Suche nach Hoffnung noch die weitesten Wege gehen. Carl suchte die Hoffnung irgendwo im Weltall andere suchen die Hoffnung in der Vergangenheit, andere im Krieg, andere in sich. Warum ist das bemerkenswert? Die Welt gibt uns jeden Grund, uns abzuwenden. Doch ganz offensichtlich tun wir es nicht. Eher schmeißen wir uns in große Krisen, zetern und toben, verzweifeln und wüten, alles um den Beweis anzutreten, dass es sich doch lohnt. Denn nichts an Grausamkeiten in der Geschichte der Menschheit konnte die Liebe für diese Welt und all ihr Wunder ersticken.
Und genau das ist der Schlüssel: Die Tatsache, dass wir nach all der Aufklärung und Entwicklung menschlicher Gesellschaften vor einer solch fundamentalen Hoffnungskrise stehen, das ist die Hoffnung an sich. Die Suche nach dem Glauben an das Gute, die fängt man nicht auf dem Weg ins Grab an. Die fängst du an, wenn du nicht bereit bist aufzugeben.
Niemand wird uns retten, also können wir aufhören zu warten. Und anfangen, es gut zu machen. Und dabei dürfen wir uns wichtig nehmen. Wir müssen es sogar.
Und wenn man genau hinschaut, dann sieht man schon seit Jahrhunderten, wie Menschen im Großen und Kleinen längst damit angefangen haben. In dem Augenblick, in dem wir Augen und Blick nicht länger in die Ferne, nach oben oder in Richtung der leeren Fortschrittsversprechen lenken, sehen wir, was direkt vor uns ist. Ein Mensch. Und noch einer. Und diese Menschen sehen auch jemanden, und das ist man selbst. Und überall: die Suche nach Hoffnung. Und genau das ist die Hoffnung.
Zusammen sind wir zu den größten Ungerechtigkeiten fähig, das hat man gezeigt. Aber eben auch zu den größten Großartigkeiten. Wir sind alles, was wir haben, und so sind wir auch alles, was wir brauchen.
Die Kosmologie hat es möglich gemacht, das Universum zu verstehen. Und es ist eben diese Kosmologie, die uns die Mathematik für das Ende der Hoffnungskrise bereitstellt. Und diese Formel geht so: Wir können die Zukunft nicht berechnen, denn die Möglichkeiten sind unendlich. Fantastisch.
Wir wollten das Universum beeindrucken, mit alldem, was wir schon wissen. Und dabei liegt die Macht dort, wo wir es eben nicht wissen. Wir wollten eine Geschichte schreiben, die auserzählt ist. Und dabei liegt das Hoffnungsvolle dort, wo die Geschichte noch nicht zu Ende geschrieben ist.
Denn: Es ist alles offen. Es ist alles offen. Es ist alles …
Anm. d. Red.: Dieser Textauszug beruht auf der Fassung der Uraufführung der »Rede in Es-Dur« während der Lessingtage 2024.
Wenn es eine Formel, ein Motiv, ein Signet gibt, das wie kein anderes für ›klassische‹ Musik steht, dann ist es der Beginn von Beethovens fünfter Sinfonie. Das ist sehr verständlich: Die Viernotenfolge des »Ta-ta-ta-taaa« signalisiert in unübertrefflicher Kürze und Bündigkeit eine so elementar-aggressive wie unausweichliche Gewalt, die den unvorbereiteten Hörer wie ein Faustschlag trifft. »So klopft das Schicksal an die Pforte«, soll Beethoven seinem Bediensteten Anton Schindler zufolge zu diesem Anfang bemerkt haben – eine hartnäckig sich haltende Geschichte, womit der Sinfonie ihr Beiname »Schicksalssinfonie« ein für alle Mal gesichert war.
Die seinerzeit völlig neuartige künstlerische Leistung des Komponisten besteht allerdings nicht nur in der Erfindung dieses Motivs, sondern vor allem darin, was er aus ihm im Fortgang macht. Denn aus der kleinen zweitaktigen Zelle entwickelt sich in Erweiterung und Fortspinnung der komplette erste Satz und darüber hinaus nahezu die ganze Sinfonie. Das ist beim spontanen Hören gut nachzuvollziehen, weil das »Ta-ta-ta-taaa« mit seiner plastischen Prägung gar nicht unbemerkt bleiben kann und sich bis in die tiefen Schichten der Partitur hinein verfolgen lässt. Kurzum: Aus einem kleinen Baustein entfaltet sich eine Musik, die in der Weiträumigkeit ihrer Anlage, im großen Atem der melodischen Erfindung nichts Kleinzelliges mehr an sich hat.
Die gesamte Sinfonie folgt einer Idee, die auf den geistigen Hintergrund des Werks verweist. Durch Nacht zum Licht – diese Formel könnte sie umschreiben. Zu Musik geworden sind hier auch der Wille und die Kraft eines imaginären Ich, das Widerstände und Widrigkeiten triumphal überwindet. Der Wechsel von der Grundtonart c-Moll zum strahlenden C-Dur des Finales beim Übergang vom dritten zum vierten Satz setzt das genial um: Dieser Triumph fällt nicht vom Himmel, wird nicht geschenkt, sondern muss hart ›erarbeitet‹ werden, liegt in der Konsequenz einer von langer Hand geplanten Entwicklung. Dieser Umstand sichert der Sinfonie bis heute ihre unvergleichliche Wirkung.
»Ich mag es, wenn die Musiker:innen dieses Stück nicht als ›Museumsstück‹ aufführen, bei dem wir die Aufführungstraditionen verehren müssen. Stattdessen möchte ich die Musiker:innen auffordern, darüber nachzudenken, wie Beethoven sich gefühlt hat – was sie tun und wie sie spielen würden, wenn sie wütend, voller Zorn und ungeduldig wären angesichts all der Verwirrung und Dunkelheit um sie herum. Wir müssen das Stück als ein leidenschaftliches Plädoyer für Hoffnung, Freude und Triumph spielen. Jede Note muss lebendig und voller Bedeutung sein.«
– Dirigentin Elim Chan
Text: Markus Schwering
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 10–23 Uhr) oder per E-Mail (achtsamkeit@beethovenfest.de).
Werte und Überzeugungen unseres Miteinander sowie weitere externe Kontaktmöglichkeiten können hier auf unserer Website aufgerufen werden.
Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Lektorat:
Heidi Rogge
Die Texte von Markus Schwering sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.