Chaos String Quartet
Susanne Schäffer Violine
Eszter Kruchió Violine
Sara Marzadori Viola
Bas Jongen Violoncello
28.8.– 27.9. 2025
Chaos String Quartet
Susanne Schäffer Violine
Eszter Kruchió Violine
Sara Marzadori Viola
Bas Jongen Violoncello
Giovanni Francesco Anerio (um 1567–1630)
»Libera me« Motette
György Ligeti (1923–2006)
Streichquartett Nr. 2
I. Allegro nervoso
II. Sostenuto, molto calmo
III. Come un meccanismo di precisione
IV. Presto furioso, brutale, tumultuoso
V. Allegro con delicatezza
Henriëtte Bosmans (1895–1952)
Streichquartett
I. Allegro molto moderato
II. Lento
III. Allegro molto
»The Beethoven Elections«
Improvisation über Ludwig van Beethovens Streichquartett op. 131 mit Demokratisierung der musikalischen Prozesse, entwickelt in Zusammenarbeit mit Samu Gryllus (*1976)
Pause (ca. 25 Minuten)
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Streichquartett cis-Moll op. 131
I. Adagio ma non troppo e molto espressivo
II. Allegro molto vivace
III. Allegro moderato
IV. Andante ma non troppo e molto cantabile
V. Presto
VI. Adagio quasi un poco andante
VII. Allegro
Diese Bitte steht, ohne Text nur auf Streichinstrumenten musiziert, am Anfang des Konzerts. Persönliche Freiheit ist die Basis eines gelungenen Miteinander. Eine Freiheit, die die Freiheit jeder und jedes anderen achtet und eine Vielzahl unterschiedlicher Positionen zulässt. Positionen, die nicht nur nebeneinander stehen, sondern in Austausch gehen, sich stützen, hinterfragen, zum Teil auch miteinander ringen. Positionen, die mal einen Konsens finden und mal den Widerspruch aushalten müssen. Diese Phänomene prägen auch musikalische Prozesse und verbinden die auf den ersten Blick sehr verschiedenen Werke dieses Programms. Und sie beschreiben auch das Zusammenspiel im Quartett: »Es gibt im Streichquartett diese Dualität, frei zu sein, aber auch in einem Kosmos zu sein«, erklärt Bratschistin Sara Marzadori. »Du musst eine eigene Stimme finden, deine eigenen Ideen hineingeben, aber du musst auch zu 100 Prozent den Zusammenklang respektieren und die gemeinsame Idee.«
Giovanni Francesco Anerio, der die meiste Zeit seines Lebens in Rom verbrachte, war nicht nur Komponist und Kapellmeister, sondern auch Geistlicher. Entsprechend viele seiner Werke sind für die Kirche entstanden, wie auch das »Libera me«, dessen Text aus der Liturgie einer musikalischen Totenmesse stammt, eines Requiems. Komponiert wurde es für vier Gesangsstimmen, die in dieser Version von den Streichinstrumenten übernommen werden.
»Jede Stimme hat ein eigenes Leben, horizontal. Aber das ›ganze‹ Leben kommt erst zusammen, wenn wir alle vier spielen, vertikal, also in den Harmonien.«
– Sara Marzadori, Viola
Das Zusammenspiel ist in György Ligetis zweitem Streichquartett eine besondere Herausforderung. »Man muss um das Miteinander an ganz vielen Stellen wirklich kämpfen«, so Geigerin Eszter Kruchió. »Und es gibt viele Stellen, die nur aufgehen, wenn man diesen Kampf irgendwie gewinnt. Aber es gibt auch einige Stellen – und das finde ich besonders faszinierend –, die so geschrieben sind, dass es eigentlich unmöglich ist, sie komplett präzise und komplett zusammen zu spielen. Da muss man dann Wege finden, die Struktur zu wahren, das Miteinander zu wahren, ohne dass man die Möglichkeit hat, wirklich jeden Schlag perfekt zusammen zu spielen.«
»Eine meiner Lieblingsstellen ist der Anfang vom dritten Satz, weil wir da im genau gleichen Rhythmus beginnen. Und dann fängt es langsam an, sich rhythmisch zu verschieben. Das kennzeichnet den ganzen Satz, dass man sich manchmal trifft und dann wieder auseinanderdriftet. Wenn man es schafft, das beim Spielen wie von außen zu hören, quasi aus der Vogelperspektive, dann ist das total faszinierend. Dann spielt man nicht mehr die eigene Stimme, sondern man hört wirklich, wie diese vier Stimmen langsam auseinandergehen. Das ist fast wie eine außerkörperliche Erfahrung. Man wird mit der eigenen Stimme Teil von einem großen Ganzen.«
– Eszter Kruchió, Violine
Auch wenn keine Briefe oder Tagebucheinträge überliefert sind, die das belegen, ist dennoch sehr wahrscheinlich, dass Fragen nach Freiheit und deren grausamer Begrenzung Henriëtte Bosmans’ Leben geprägt haben. Bosmans, die nicht nur komponierte, sondern in ihrer Heimat, den Niederlanden, auch als Pianistin Erfolge feierte, wurde vom NS-Regime als »Halbjüdin« kategorisiert und durfte darum ab 1941 nicht mehr auftreten. Auf »zwarte avonden« (»schwarzen Abenden«) gab sie dennoch Konzerte im Untergrund.
»Interessant ist das Spiel zwischen den Soli und dem ganzen Quartett, fast als ob Bosmans die Gegensätze Einsamkeit und Gemeinsamkeit in diesem Quartett vertonen möchte.«
– Susanne Schäffer, Violine
Improvisation wirkt auf den ersten Blick wie die absolute musikalische Freiheit. Aber Cellist Bas Jongen erklärt: »Unsere Improvisation ist nicht random, sondern basiert zum Beispiel auf Modulen. Beethovens Streichquartette sind auch auf eine Art durch solche Module verbunden. Zum Beispiel wurde das Vier-Ton-Motiv aus dem ersten Satz im Streichquartett op. 131 auch in den Streichquartetten op. 130 und 132 verwendet. Wir nehmen als Ausgangspunkt Material von Beethoven und erkunden, was wir als Quartett damit alles machen können. Wir loten die Grenzen aus zwischen freien Entscheidungen im Moment und einer sinnvollen Dramaturgie.« Eine sinnvolle Dramaturgie entsteht bei der Improvisation als Quartett nur, wenn die einzelnen Entscheidungen auch im Gruppenkontext gedacht werden. »Du musst die ganze Zeit aufpassen und verstehen, mit wem du in Kommunikation bist, wenn du improvisierst«, so Bratschistin Sara Marzadori. »Du kannst nicht einfach machen, was du willst. Du musst reagieren, die anderen einladen, es ist wirklich ein gemeinsamer Prozess. Und das musst du mit deinem eigenen Material schaffen, du brauchst also eigene Ideen.«
»Auch die große Idee müssen wir zusammen irgendwie schaffen, damit wir miteinander eine Art von Form kreieren können. Es geht nicht nur um die kleinen Momente, in denen wir aufeinander hören oder reagieren oder einladen, es geht auch um den großen Zusammenhang.«
– Bas Jongen, Violoncello
Zwischen den einzelnen Sätzen des 14. Streichquartetts von Ludwig van Beethoven sind keine Pausen vorgesehen. »Es hat mal jemand nach einem Konzert gesagt: ›Erst ganz am Ende konnte ich ausatmen‹«, so Bratschistin Sara Marzadori.
Die einzelnen Sätze sind dabei auch durch gemeinsame Motive verbunden. So erscheint das Anfangsthema aus dem ersten Satz im letzten Satz wieder. »Das ist eine tolle Erfahrung«, so Cellist Bas Jongen. »Wir sind wieder zurückgekehrt in die Tonart, in der wir angefangen haben. Wir sind fast chromatisch (also Halbton für Halbton) durch alle Tonarten gereist und dann kommen wir zurück.« Und dabei geht es nicht nur um die vier Musiker:innen auf der Bühne, erklärt Sara Marzadori:
»Wir brauchen das Publikum wirklich, Reaktionen aus dem Publikum – egal ob positiv oder negativ. Es geht um die Offenheit, frei von Vorannahmen zuzuhören. Und das ist eigentlich, was Miteinander für mich bedeutet.«
Text: Merle Krafeld
Die Mitglieder des Chaos String Quartets fanden sich entlang des reichen Konzepts von Chaos in Wissenschaft, Kunst und Philosophie zusammen und teilen den Wunsch, als risikofreudige, multinationale Stimme auf den Kammermusikbühnen der Welt präsent zu sein.
Als Preisträger renommierter internationaler Wettbewerbe wie Bad Tölz (2023), Haydn (2023), ARD (2022) und Bordeaux (2022) konnte sich das Chaos String Quartet in kürzester Zeit in der internationalen Musikszene etablieren. Für 2023–2025 wurde das Chaos String Quartet als BBC Radio 3 New Generation Artist ausgewählt.
Das junge Ensemble war bereits in vielen Konzertreihen in Europa zu hören sowie zu Gast bei Festivals wie Mozartfest Würzburg, MDR Musiksommer, Heidelberger Frühling, Lockenhaus, Wien Modern, Les Musicales de Normandie, Davos Festival (Young Artists in Concert), Ravenna Festival, Gent Festival van Vlaanderen und Festival Academy Budapest.
Neben der Arbeit mit seinem Mentor Johannes Meissl in Wien im Rahmen des ECMAster-Programms absolvierte die Musiker:innen ein postgraduales Studium an der Scuola di Musica di Fiesole beim Cuarteto Casals. Weitere musikalische Impulse erhielt das Ensemble von Rainer Schmidt (Hagen Quartett), Hatto Beyerle (Alban Berg Quartett) und Oliver Wille (Kuss Quartett).
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 10–23 Uhr) oder per E-Mail (achtsamkeit@beethovenfest.de).
Werte und Überzeugungen unseres Miteinander sowie weitere externe Kontaktmöglichkeiten können hier auf unserer Website aufgerufen werden.
Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Die Texte von Merle Krafeld sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.